Von Wien und seinen Hintersassen

von Gottfried Kneifel, 02.01.2017

Während der Zuzug nach Wien ungebrochen ist, dünnt der ländliche Raum immer mehr aus. Das beweisen Daten und Zahlen: Laut aktuellem Bericht der Statistik Austria verzeichnen bereits 830
Gemeinden  eine negative Bevölkerungsentwicklung. Das sind rund 40 Prozent aller Gemeinden .
In erster Linie gewinnen die großen Städte und die städtischen Regionen stark an Bevölkerung. Wien ist allein im vorigen Jahr um 43.200 Personen gewachsen. An stärksten wird die Bevölkerung bis 2030 in den Wiener Gemeindebezirken Donaustadt (plus 27,2 Prozent) und Floridsdorf (plus 22,1 Prozent)
sowie die Gemeindebezirke Leopoldstadt (plus 20 Prozent) und Favoriten (plus 21,5 Prozent). Wien und Umgebung nähert sich mit Riesenschritten der drei-Millionen-Einwohner-Grenze, während gleichzeitig der Bevölkerungsschwund der ländlichen Gebiete zügig voranschreitet.
Die Kommunen der obersteirische Mur-Mürz-Furche, in Kärnten die Regionen abseits des Zentralraumes Klagenfurt-Villach, die Bezirke Murau, Hermagor, Spital a.d. Drau, Bruck-Mürzzuschlag, Murtal,  St Veit a.d. Glan und Wolfsberg sind von einer besonders negativen Bevölkerungsentwicklung von mehr als sieben Prozent betroffen.  Weiters zählen dazu die Bezirke Zwettl und Waidhofen a.Thaya und Gmünd im nö. Waldviertel, sowie der Bezirk Tamsweg im Salzburger Lungau. Viele andere Gemeinden verzeichnen einen Bevölkerungsschwund von 1bis 5 Prozent oder stagnieren.

Der Soziologe Max Haller von der Universität Graz hat kürzlich bei einer Veranstaltung des Institutes Wirtschaftsstandort OÖ. (IWS) in Linz Zahlenmaterial  präsentiert, demnach in Österreich auch in Zukunft ländliche Gebiete an Bevölkerung verlieren, wenn Parlament und Regierung den Dingen ihren Lauf lassen.

„Wien ist der Teufel in der österreichischen Geisterbahn“

 
Erst kürzlich stellte die OÖ. Landes-Statistik fest, dass jährlich mehr als 1.900 vorwiegend junge Leute aus Oberösterreich – nicht nur der Ausbildung halber, sondern für immer – nach Wien übersieden.
 Alois Brandstetter schreibt 1987 in einem Aufsatz im Buch „Von den Hauptstädtern und den Hintersassen“, herausgegeben von Erhard Busek: “Wien ist der Teufel in der österreichischen Geisterbahn.“ Eine dichterische Ahnung, die immer mehr an Realität gewinnen könnte.
Aber es stimmt, dass immer mehr Einwohner Österreichs sich zum Wiener Teufel hingezogen fühlen.
Faktum ist, dass fast alle Regionen Österreichs Einwohner an die Bundeshauptstadt liefern. Viel zu wenig wird bedacht, dass sich die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie die Landtagsabgeordneten „Restösterreichs“ damit immer mehr den finanz-, umwelt- , infrastruktur - und sozialpolitischen Forderungen der Bundeshauptstadt ausliefern. Wien wird mit dieser Einwohnerwucht die restlichen Länder und Regionen beispielsweise beim Finanzausgleich, bei der Errichtung von Kulturbauten, Museen etc noch mehr ausbremsen als dies bisher schon geschieht. Bewiesen hat diese These erst kürzlich eine Studie des Instituts für Föderalismus im Auftrag des IWS, die die Verteilung der Bundesbehörden in Österreich untersucht und mit der Verteilung in der Schweiz und in Deutschland verglichen hat. Das Ergebnis muss jeden föderalistisch gesinnten Österreicher empören: Bis auf drei Ausnahmen befinden sich alle Bundeseinrichtungen in Wien. Sie haben ihren Sitz dort und ihre Beschäftigten. Damit haben Junge Menschen mehr Chancen in Wien. Wie heißt es dazu: “Der Standort bestimmt den Standpunkt!“ Und tatsächlich bevorzugen viele Gesetze Wien. Wird beispielsweise eine neue Bundesagentur gegründet – ein Beispiel von vielen ist die Bundesbeschaffungsagentur, bei der im Gesetz festgehalten ist, „der Sitz der Geschäftsführung ist in Wien.“  Es muss keineswegs immer der Standort in Wien sein, wie die IWS-Studie feststellte: In Deutschland sind die 67 Bundesstellen auf 24 (!) Städte verteilt, in der Schweiz 47 auf 11 Standorte.
In Österreich ist sogar die Bundesanstalt für Bergbauernfragen in der Marxer-Gasse  im 3. Wiener Gemeindebezirk angesiedelt, weil es offensichtlich in Wien die meisten Bergbauern Österreichs gibt.


Es geht auch anders


Dass es auch anders geht, beweist derzeit der Freistaat Bayern mit seiner sogenannten Heimat-Strategie. Es wurde ein Dezentralisierungsprogramm gestartet  mit dem Ziel, bis zum Jahre 2023
insgesamt 3.155 Dienstposten von der Landeshauptstadt München in – vorwiegend strukturschwache  - Landkreise zu verlagern. Und das im vollen Einvernehmen mit der Gewerkschaft und den Beschäftigten. Es soll auch in Bayern öffentlich Bedienstete geben, die nicht jeden Tag mehr als zwei Stunden Pendlerzeit auf überfüllten Straßen verbringen wollen, wie der für die Heimatstrategie zuständige bayerische Staatssekretär im Finanzministerium Albert Füracker kürzlich anlässlich einer  Enquete in Linz festgestellt hat.


Länder machen mobil

 Die Bundesländer sind bereits am Weg der Erkenntnis. So hat der Vorarlberger Landtag im Dezember 2015 mit den Stimmen von VP, FP und Grünen in einem Antrag den Bund aufgefordert, Bundesdienststellen vermehrt in die Bundesländer zu verlagern. In Tirol wurde ein ähnlich lautender Antrag von SP-Chefin Blanik einstimmig angenommen. Ebenso in Salzburg und in der Steiermark. im Herbst 2015 hat  die  Landtagspräsidentenkonferenz einen diesbezüglichen Antrag beschlossen. Auch Südtirol ist gerade dabei, Dienststellen aus Bozen in dezentrale Gemeinden zu verlagern.
Erinnert werden darf auch an das geltende Regierungsprogramm, in dem ein Masterplan für den ländlichen Raum und konkret die Durchführung von Pilotprojekten für die Auslagerung von Bundesdienststellen und Verwaltungsagenden in strukturschwache Regionen gefordert werden.
 

Jedenfalls steht fest, dass eine Dezentralisierung den strukturschwachen Regionen attraktive Arbeitsstellen, mehr Kaufkraft und Wertschöpfung bringt. Das würde schon allein das bundesstaatliche Prinzip der Bundesverfassung rechtfertigen. Es müsste sogar ein Staats-Ziel sein, annähernd gleichwertige Lebensbedingungen in allen Bezirken Österreichs zu schaffen. Dieses Ziel kann mit den modernen digitalen und elektronischen Technologien noch leichter als früher erreicht werden. Heute wandert der elektronische Akt von Dienststelle zu Dienststelle und nicht mehr der Bürger. Heute ist es völlig gleichgültig, ob das Patentamt oder die Bundesimmobiliengesellschaft in Wien oder in Zwettl, in Scheibbs, in  Ried im Innkreis oder in Hallein ihren Sitz hat. Wenn das der Regierung zu mühsam erscheint, soll sie mit der Verlagerung der Bundesanstalt für Bergbauernfragen in einen ländlichen Raum außerhalb Wiens beginnen. Es mag viele gute Gründe für die Schließungspolitik von Polizeistationen, Bezirksgerichten, kleinen Schulen, Kasernen, Automatisierung von Bahnhöfen und Schließungen von Nebenbahnen gegeben haben. Noch ist kein  Masterplan für den ländlichen Raum in Sicht. 40 Prozent der Gemeinden mit Bevölkerungsschwund warten darauf. Die Bundesregierung soll mit der Verlagerung von Bundesstellen mit gutem Beispiel voran gehen.

Dieser Kommentar wurde am 14. Dezember 2016 in der Tageszeitung "Die Presse" veröffentlicht.

Informationen zu Gottfried Kneifel



Gottfried KneifelProf. Gottfried Kneifel (68) war Mitglied des Bundesrates von 2000 bis 2016 und dessen Präsident in den Jahren 2006, 2011 und 2015 und ist Geschäftsführer der Initiative Wirtschaftsstandort Oberösterreich (IWS).

kneifel@iwsooe.at

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