„…nach vorangegangener Fühlungsnahme“ 75 Jahre Wiedererringung der Landesgesetzgebung

von Peter Bußjäger, 12.10.2020

Der 12. Oktober 1945 war ein besonderer Tag: In Umsetzung der Verhandlungsergebnisse der Länderkonferenz vom 24. bis 26. September 1945 beschloss die Provisorische Staatsregierung eine Abänderung der Vorläufigen Verfassung vom 1. Mai 1945, StGBl. Nr. 5/1945. Diese hatte in ihrem § 18 bestimmt, dass „bis zum Zusammentritt einer freigewählten Volksvertretung“ die Provisorische Staatsregierung (unter Staatskanzler Renner) „die nach dem Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 dem Bunde und den Ländern zustehende Gesetzgebung“ ausüben sollte. Dass aus Sicht Renners die Wiederbegründung des Bundesstaates keineswegs eine ausgemachte Sache war, zeigt § 4 Abs 1 der Vorläufigen Verfassung, wonach die „ku?nftige frei gewa?hlte Volksvertretung (…) zu bestimmen haben (wird), ob und wie weit die bundesstaatliche Organisationsform nach den Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 wieder in volle Geltung treten wird.“

Damit hatte die Vorläufige Verfassung den Bundesstaat sistiert, zumindest nach den Vorstellungen der Staatsregierung. In der Verfassungswirklichkeit übten die Länder bereits unmittelbar nach der Befreiung von der Naziherrschaft wieder Staatsgewalt aus. Insbesondere in den nicht von den Sowjets besetzten Ländern wurden die Anordnungen der Provisorischen Staatsregierung nicht vollzogen, sofern sie überhaupt bekannt waren. Auch fand sie bei den westlichen Alliierten, also Amerikanern, Briten und Franzosen, keine Anerkennung.

Als im Zuge der sogenannten Länderkonferenz vom 24. bis 26. September in Wien in Verhandlungen zwischen Renner und den Ländervertretern ein Durchbruch erzielt wurde und die westlichen Länder die Provisorische Staatsregierung anerkannten, sicherte diese den Ländern im Gegenzug die Durchführung freier Wahlen, die Aufnahme von Vertretern westlicher Länder in die Staatsregierung und die vollständige Wiederinkraftsetzung des B-VG zu.[1]

Dazu gehörte eben auch die Wiederherstellung der Gesetzgebungskompetenz der Länder. Mit dem „Verfassungsgesetz vom 12. Oktober 1945 über einige Abänderungen der Vorläufigen Verfassung“, StGBl. Nr. 196/1945, wurde ein neuer § 22a eingeführt, wonach „bis zum Zusammentritt der frei gewa?hlten Landtage (…) in jedem Land die Provisorische Landesregierung die den La?ndern nach der Zusta?ndigkeitsverteilung des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 zustehende Gesetzgebung aus(übt).“

Offenbar entgegen den Absprachen enthielt der neue § 18 Abs 2 der Vorläufigen Verfassung die Ermächtigung der Provisorischen Staatsregierung, „im zwingenden Bedarfsfall“ auch Angelegenheiten regeln zu dürfen, die in die Zuständigkeit der Länder fielen. Dies fiel denn auch sofort nach erfolgter Kundmachung des Gesetzes am 20. Oktober 1945 negativ auf. In einem Schreiben an den Vorarlberger Landeshauptmann Ulrich Ilg vom 24. Oktober 1945 beeilte sich Renner zu versichern, dass „von diesem Bedarfsgesetzgebungsrecht nur in zwingenden Fällen und womöglich nach vorangegangener Fühlungsnahme mit den zuständigen Organe der betroffenen Länder Gebrauch zu machen ist.“

Die Zeit der Regierungsgesetzgebung in Österreich auf Bundes- und Landesebene endete erst mit dem 2. Verfassungs-Überleitungsgesetz vom 13. Dezember 1945, StGBl. Nr. 232/1945, das aus Anlass der mittlerweile stattgefundenen Wahlen zum Nationalrat und zu den Landtagen die Gesetzgebungsgewalt wieder den vom B-VG dazu vorgesehenen parlamentarischen Organen übertrug.

 


[1] Weiterführende Literatur: Bußjäger (Hg.), 60 Jahre Länderkonferenzen 1945 – Die Länder und die Wiederbegründung der Republik, Schriftenreihe Politische Bildung Band 6 des Instituts für Föderalismus, Wien 2006.

Informationen zu Peter Bußjäger



Peter BußjägerUniv.-Prof. Dr. Peter Bußjäger ist Direktor des Institutes für Föderalismus und Professor am Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre der Universität Innsbruck.




peter.bussjaeger@foederalismus.at

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