1. Freiburger Föderalismus-Tage – ein österreichischer Blick

von Andreas Pehr, 05.10.2023

Vom 7.-8. September 2023 fanden zum ersten Mal die Freiburger Föderalismus-Tage (Schweiz) statt. Als Referierende wurden Politolog:innen, Ökonom:innen, Jurist:innen und Historiker:innen, aber auch Amtsträger:innen und Personen der Zivilgesellschaft geladen. Spannende und kontroverse Diskussionen zum Thema Zusammenarbeit und gegenseitige Abhängigkeit von Regierungen, Ministerien und Behörden im Bundesstaat mit dem Titel «Intergouvernementale Beziehungen in föderalen Systemen» konnten dabei mitunter beobachtet werden.

Durch den stärkeren Schweiz-Bezug der Tagung ergaben sich viele interessante Perspektiven aus österreichischer Sicht. Um ein Beispiel zu nennen: Während in Österreich die Landeshauptleute- und die Fachreferentenkonferenzen als intergouvernementale Institutionen in der Öffentlichkeit häufig als Hindernis der Bundespolitik dargestellt werden,[1] ist die mehrheitliche Einstellung in der Schweiz wesentlich positiver – dort setzt man nicht „bloß“ auf zwei Konferenzen zur Abstimmung, Zusammenarbeit und Koordinierung der Kantone. Neben der Direktorenkonferenz und jener der Kantonsregierungen (KdK) haben sich auch die West-, Nordwest-, Zentral- und Ostschweizerregierungskonferenzen sowie auch u.a. die Konferenz der Gebirgskantone ausgebildet. Sicherlich wurde vor nicht allzu langer Zeit in Österreich die „Westachse“ zwischen Vorarlberg, Tirol und Salzburg geschaffen und gerade erst neulich haben Kärnten und Steiermark nach der erfolgreichen Zusammenarbeit bei der Koralmbahn sich dazu entschlossen, diese jährlichen Treffen zu institutionalisieren – der Beginn einer „Südachse“ also. Jedoch scheint im Allgemeinen die Länderebene verhalten, wenn es um (stark) institutionalisierte Formen des Austauschs und Auftretens bei Gemeinsamkeiten geht. Meist bleibt dieser Austausch und das gemeinsame Auftreten auf Einzelanliegen beschränkt und wird nicht nach generell geteilten Präferenzen und Prioritäten (Gebirgsbundesländer, Flächenbundesländer, Industriebundesländer, Ein- und Auswanderungsbundesländer, Südachse, Nord- und Ostachse, etc.) dauerhaft praktiziert.[2]

Hier läge eine Chance. Man kann nämlich Anliegen und Probleme öffentlich akzentuierter vertreten und es würde nicht als Minithema eines einzelnen Bundeslandes abgetan werden, welches am nächsten Tag in der medialen Aufmerksamkeit einem anderem weichen muss. Gegenüber dem Zentralisierungsdruck des Bundes könnten diese Plattformen zudem als Gegengewicht zum Schutz dezentraler Entscheidungsstrukturen und vor Machtkonzentration dienen. Außerdem wären solche Konferenzen nicht nur gegenüber dem Bund und für ein plurales gesellschaftliches Verständnis relevant, sondern auch für die betreffenden Bundesländer selbst. Föderalismus ist ein Entdeckungsprozess. Konferenzintern kann man bei gleichen/ähnlichen Problemen best-practices der anderen kennenlernen. Für das policy-making sind solche Erfahrungsberichte und know-how ungemein viel wert – intergouvernementale Beziehungen als Ort der Innovation und als Lern- und Austauschplattform. Darüber hinaus können dort spillover-Effekte von policies überregional flexibel koordiniert und gegebenenfalls maßgeschneiderte Vereinbarungen getroffen werden. Ein weiterer Aspekt wäre auch noch die Gewichtung der Macht zwischen den Bundesländern. Manche Bundesländer haben „kürzere Wege“ zur Bundesregierung als andere, manche werden aufgrund der politischen Konstellation in vielerlei Hinsicht „mehr“ berücksichtigt als andere und manche Bundesländer werden als schlichtweg „bedeutender“ wahrgenommen als andere. Kreative Zusammenschlüsse von Bundesländern könnten hier wiederum eine Ausbalancierung der Macht innerhalb Österreichs bewirken. Kreativ würde auch heißen, dass man in der Kooperation mehrdimensional sein kann. Tirol könnte via Osttirol zum Beispiel Mitglied der West- als auch einer Südachse sein. Salzburg könnte in der West- und einer Nordachse als auch einer Gebirgskonferenz vertreten sein. Dadurch würden keine unverrückbaren Blöcke entstehen, sondern ein vielschichtiges Miteinander je nach regionalen Sachlagen und Prioritäten. Was nun die bestehende Landeshauptleute- und auch die Fachreferentenkonferenz bei aller Kritik anbelangt, sind sie in Österreich integrale Elemente des so wichtigen „checks & balances“ und sorgen darüber hinaus für einen Ideenwettbewerb gegenüber dem Bund. 

Demokratiepolitisch sind solche Plattformen jedoch nicht ganz unproblematisch. Einerseits fehlt es ihnen an Transparenz, da man nicht weiß, was hinter den Konferenztüren besprochen und ausgehandelt wird. Anderseits mangelt es diesen Konferenzen etwas an demokratischer Legitimität, da es zumal die Exekutiven sind, die dort Entscheidungen treffen und nicht die dafür zugedachten Legislativen. Eine weitere Gefahr wäre es, wenn sich Bundesländerkonferenzen zu einer Art „Kartelle“ entwickeln würden, doch dies ist vermutlich für die Schweiz mit bedeutend höherer Zahl an Konferenzen und Konkordaten eher Thema als hier. Es stellt sich für Österreich aber die Frage, ob ein weiteres Entstehen und eine potenzielle Intensivierung solcher Konferenzen den Bundesrat als staatsrechtliche Stelle der Länderinteressen in seiner Bedeutung und eigentlichen Rolle weiter aushöhlt oder ob sie vielmehr eben aufgrund der Schwäche der Zweiten Kammer eine drängende Notwendigkeit sind. Klar ist jedenfalls, dass intergouvernementale Beziehungen das «workhorse of any federal system»[3] sind.

 

 


[1] Siehe dazu zB Rosner/Gmeiner, Die Länderkonferenzen, in: Rosner/Bußjäger (Hg), Im Dienste der Länder – im Interesse des Gesamtstaates. FS 60 Jahre Verbindungsstelle der Bundesländer (2011) 93-107 oder auch Karlhofer, Gestaltungskraft und Vetomacht. Funktion und Praxis der Landeshauptleutekonferenz, in: Rosner/Bußjäger (Hg), Im Dienste der Länder – im Interesse des Gesamtstaates. FS 60 Jahre Verbindungsstelle der Bundesländer (2011) 311-326.

[2] Zu den (politischen) Auswirkungen intergouvernementaler Beziehungen in Österreich vgl Bußjäger, Intergouvernementale Beziehungen in Österreich und politische Entscheidungsprozesse, in: Bußjäger (Hg), Kooperativer Föderalismus in Österreich (2010) 121-130.

[3] Cameron, The Structures of Intergovernmental Relations. International Social Science Journal 167 (2001), 121-127.

 

Informationen zu Andreas Pehr



Andreas PehrAndreas Pehr ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Föderalismus in Innsbruck, Projektleiter an der Universität Innsbruck und PhD-Student an der EURAC Bozen/Bolzano. Er beschäftigt sich primär mit der quantitativen Föderalismusforschung und lehrt unter anderem zum politischen System Österreichs.

Andreas.Pehr@eurac.edu

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