Azoren – eine Regionalautonomie an der Peripherie Europas
von Peter Bußjäger, 11.02.2019Die Azoren sind eine Inselgruppe im Atlantik, bestehend aus insgesamt neun Inseln. Die gesamte Landfläche umfasst etwa 2.300 km2, etwas weniger als Vorarlberg. Es leben etwa 250.000 Menschen dort, etwas weniger als im Burgenland. Die Hauptinsel ist Sao Miguel mit der Hauptstadt, die etwa 60.000 Einwohner aufweist. Die kleinste Insel hat demgegenüber gerade mal 400 Einwohner. Der dem Festland am nächsten gelegene Punkt der Azoren liegt noch immer fast 1.400 km von Portugal entfernt. Die Entfernung der westlichsten Insel zu Neufundland beträgt etwa 1.900 km. Allerdings sind auch die Entfernungen zwischen den Inseln beträchtlich.
Daraus wird die unglaublich periphere Lage der Azoren deutlich, die im späten Mittelalter von portugiesischen Seefahrern entdeckt worden waren. Ihre Lage auf dem Weg nach Amerika verschaffte den Inseln eine gewisse Bedeutung, auch als die ersten Flugverbindungen eröffnet wurden, bildeten sie eine wichtige Zwischenstation. Die weitere Entwicklung ermöglichte jedoch Atlantiküberquerungen ohne Zwischenlandungen, weshalb die Inselgruppe an Bedeutung verlor.
Während der langen Diktatur Salazars (1932 bis 1970) befanden sich die Azoren auf dem Niveau eines Entwicklungslandes, auch wenn der Rest Portugals ebenfalls eher ärmlich war.
Nach der Nelkenrevolution 1974 und der anschließenden Demokratisierung Portugals erhielten die Azoren (wie auch die Insel Madeira) 1976 sehr rasch eine Regionalautonomie (vgl hierzu Ackrén, Inselautonomien 443 ff), obwohl Festland-Portugal ein relativ stark zentralisierter Staat blieb (eine Änderung der Verwaltungsgliederung, die mehr, aber stärkere Regionen gebracht hätte, ist vor einigen Jahren in einer Volksabstimmung gescheitert).
Seit der Autonomie hat ein merklicher und stetiger Aufschwung eingesetzt, der freilich nicht nur der Autonomie zu verdanken ist, sondern auch durchaus üppigen EU-Förderungen und einer Alimentierung durch den portugiesischen Staat. Zwar verfügen die Azoren über eine weitgehende Autonomie über die auf den Inseln erwirtschafteten Steuern, diese allein würden aber den Finanzierungsbedarf nicht decken, der auch durch Naturkatastrophen (in den 1990er Jahren suchte ein schweres Erdbeben die Insel Terceira heim, auch Vulkanausbrüche gab es schon) bedingt sind.
Das BIP der Inseln beträgt heute immerhin doch 60% des EU-Schnitts. Die Infrastruktur ist mittlerweile gut ausgebaut. Die Inseln verfügen über moderne Flughäfen, sie sind allerdings auch nur vom Festland mittels Flugzeug zu erreichen. Es gibt mehrmals täglich Verbindungen nach Lissabon oder Porto, aber auch Linienflüge nach Toronto oder Boston, weil es dort eine große azoreanische Diaspora gibt (die Armutsmigration fand früher nach Amerika statt, weil es im ärmlichen Portugal ebenfalls nicht aussichtsreich war, Arbeit zu finden). Flugreisen zum Festland werden für die Bewohner alimentiert.
Die Bevölkerung auf den Azoren stagniert bzw. geht leicht zurück. Die Förderung des Zusammenhalts zwischen den Inseln und die Bekämpfung der Entvölkerung ist jedoch ein zentrales Anliegen. Das Regionalparlament befindet sich nicht am Sitz der Regierung in Ponta Delgada, sondern in Horta auf der einige hundert Kilometer entfernten Insel Feial. Es dürfte damit eines der wenigen Beispiele weltweit sein, wo Parlament und Regierung nicht am selben Ort ihren Sitz haben. Diese Innovation wurde in einer Zeit eingeführt, als es die Instrumente der Digitalisierung noch gar nicht gab.
Seit Mitte der 1970er Jahre gibt es eine Universität, die derzeit von etwa 3.500 Studierenden besucht wird. Der Hauptsitz der Universität befindet sich ebenfalls auf Sao Miguel, der Standort für Meeresbiologie befindet sich aber beispielsweise auf Feial.
Der Tourismus hat einen beträchtlichen Aufschwung genommen, von den Auswüchsen des Massentourismus sind die Azoren aber noch verschont geblieben, vermutlich auch deshalb, weil es keine breiten Sandstrände gibt. Whale-Watching (Walbeobachtungen) und Tauchen gehören zu den touristischen Highlights, ebenso wie eine noch weitgehend intakte Natur, deren Landschaft stark von erloschenen Vulkanen geprägt ist. Der über 2.300 Meter hohe Pico auf der gleichnamigen Insel ist der höchste Berg Portugals.
Die Verkehrsinfrastruktur ist mittlerweile auch auf den Inseln selbst gut ausgebaut, teilweise sogar schon über das Erfordernis hinaus. Die Azoreaner rechtfertigen dies achselzuckend damit, dass man die EU-Gelder ja (im Gegensatz zu anderen Staaten, wo sie „verschwunden“ seien) zweckentsprechend ausgeben musste. An sich wären die Voraussetzungen für einen funktionierenden öffentlichen Verkehr auf den kleinen Inseln recht gut. Neben dem Tourismus gedeiht vor allem die Landwirtschaft. Nennenswertes Gewerbe gibt es sonst kaum.
Wie erwähnt, ist der gegenwärtig erreichte Wohlstand nicht nur auf die Autonomie zurückzuführen. Immerhin hat diese aber auch bewirkt, dass früher vorhandene Sezessionsbestrebungen politisch keine Rolle mehr spielen. Lähmend wirkt sich freilich die trotz weitgehender regionaler Autonomie noch immer spürbare portugiesische Zentralbürokratie aus.
Vergegenwärtigt man sich die periphere Lage der Inseln, ist die europäische Solidarität, die sich in den Förderungen zeigt, durchaus gerechtfertigt. Es wird die Verantwortung aller Beteiligten sein, die Weichen für eine Entwicklung zu stellen, die von Nachhaltigkeit geprägt ist. Die Voraussetzungen dafür sind gut.
Literaturhinweis:
Ackrén, Inselautonomien – konstitutionelle und politische Entwicklungen, in: Gamper et al (Hrsg), Föderale Kompetenzverteilung in Europa (2016) 431 ff.
Informationen zu Peter Bußjäger
Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger ist Direktor des Institutes für Föderalismus und Professor am Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre der Universität Innsbruck.
peter.bussjaeger@foederalismus.at
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