Die Bezirksverwaltungsbehörden und ihre Rolle im Rahmen der COVID-19-Bekämpfung*
von Mathias Eller, 26.05.2021I. Einleitung
Der tatsächliche Vollzug von Bundesgesetzen im Bereich der Länder spielt sich in der Regel bei den Bezirksverwaltungsbehörden ab. Bei derartigen Behörden handelt es sich einerseits um die Städte mit eigenem Statut und andererseits um die Bezirkshauptmannschaften, welche als monokratische Behörden eingerichtet und in der mittelbaren Bundesverwaltung dem Landeshauptmann sowie in der unmittelbaren Landesverwaltung der Landesregierung weisungsgebunden sind. Gerade im Rahmen der COVID-19-Bekämpfung kommt den Bezirksverwaltungsbehörden eine nicht zu unterschätzende Rolle zu, weil sie mit Fragen des Vollzugs direkt und laufend konfrontiert sind. In der Praxis haben sich allerdings einige Vollzugsprobleme herauskristallisiert, deren möglichen Ursachen im Rahmen dieses Blog-Beitrags in der gebotenen Kürze auf den Grund gegangen werden soll.
II. Unzureichende Rechtsgrundlagen und das Fehlen einer langfristigen Strategie zur COVID-19-Bekämpfung
Die Problemkette beginnt bereits vor Ausbruch der COVID-19-Krise in Österreich, wurde doch der Rechtsbestand rund um Pandemien und Epidemien in der Vergangenheit unbestritten vernachlässigt. Das Epidemiegesetz 1950, das im Kern auf eine Zeit zurückgeht, in der Österreich noch monarchisch regiert wurde, wurde zuvor stiefmütterlich behandelt und fristete ein Schattendasein. Erst mit Ausbruch der Krise wurde es so richtig populär und bildet(e) mit dem hastig erlassenen COVID-19-Maßnahmengesetz (nun: 2. COVID-Maßnahmengesetz) die rechtliche Basis für die zahlreich darauf basierenden Lockdown/Lockerungsverordnungen. Das EpiG 1950 in seiner Fassung vor Ausbruch der Krise war jedenfalls überholungsbedürftig und stellte keine geeignete Rechtsgrundlage für die COVID-19-Bekämpfung dar. Dies war insofern nicht verwunderlich, als die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Vergleich zum frühen 20. Jahrhundert mit jenen heute keineswegs zu vergleichen sind. Insbesondere gilt dieser Befund hinsichtlich der stark verbesserten Mobilitätsmöglichkeiten, die zwar als Ausdruck der individuellen Freiheit zu werten sind, die Bekämpfung einer Pandemie aber doch deutlich erschweren.
Die fehlenden legistischen Vorkehrungen in diesem Bereich sind sohin als eine „Hypothek“ vergangener Tage zu werten, welche die Bezirksverwaltungsbehörden gerade in den ersten Tagen und Wochen der COVID-19-Pandemie vor große Herausforderungen stellte.
Hinreichend geklärt ist bereits, wer für die Strategieplanung im Kampf gegen Pandemien und Epidemien zuständig ist. Da die Bekämpfung von Pandemien und Epidemien vom Tatbestand „Gesundheitswesen“ umfasst wird, besteht eine ausschließliche Bundeskompetenz, wenngleich die Vollziehung im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung – und damit unter Einbeziehung der Landesbehörden – erfolgt. Offensichtlich war dem Bund der Nachholbedarf in dieser Materie auch bewusst, wurde doch im Jänner 2020 eine Aktualisierung des Influenza-Pandemieplanes in Aussicht gestellt. Ein solcher fehlt – auch nach gut einem Jahr COVID-19-Krise – aber immer noch.
III. Die schwindende Akzeptanz freiheitsbeschränkender Maßnahmen
Die besondere Dynamik, die die Rechtsetzung im Rahmen der Pandemiebekämpfung prägt, bringt negative Begleiterscheinungen mit sich. Primär vermindert diese die Vorhersehbarkeit des Rechts, mit der die Berechenbarkeit staatlichen Handelns eng zusammenhängt. Umso öfter sich in diesem Bereich Rechtsnormen ändern, umso geringer wird die Bereitschaft der Rechtsunterworfenen, sich daran auch zu halten. Sie rechnen vielmehr bereits damit, dass in naher Zukunft wiederum andere rechtliche Rahmenbedingungen herrschen sowie andere Maßstäbe gelten, an denen ihr Handeln rechtlich bewertet wird. Ein hohes Maß an Bereitschaft der BürgerInnen, sich an freiheitsbeschränkende Maßnahmen zu halten, erleichtert jedoch den Bezirksverwaltungsbehörden in der Praxis den Vollzug des Epidemierechts ungemein. Die Eindämmung des Virus setzt zwangsläufig sogar die Unterstützung der Bevölkerung voraus. Exemplarisch sei an dieser Stelle das Contact-Tracing genannt, das letzten Endes nur dann, wenn positiv auf das COVID-19-Virus getestete Personen wahrheitsgemäße Aussagen über mögliche Kontaktpersonen tätigen und sich selbst an Absonderungsbescheide halten, seine Wirkung entfalten kann.
Die Vorhersehbarkeit ist folglich eine wichtige Determinante, die die Akzeptanz von Rechtsnormen in der Bevölkerung maßgeblich beeinflusst und auch eine gewisse Beständigkeit des Rechts gewährleistet. Klare Leitlinien und Transparenz sind gerade für die in der Krisenzeit zeitkritische Rezeption, Akzeptanz und Einhaltung von einschneidenden Maßnahmen das Gebot der Stunde.
War zu Beginn der Pandemie – auch wegen des hohen Unsicherheitsfaktors in Bezug auf die Gefährlichkeit des Virus – noch eine hohe Akzeptanz der Bevölkerung, bezogen auf die teilweise massiven Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte, zu beobachten, wandelte sich das Bild allmählich. Es liegt auf der Hand, dass dieser Umstand die Arbeit in den Bezirksverwaltungsbehörden nicht gerade erleichtert. Zudem haben die Entscheidungsträger die vergleichsweise ruhige Phase im Sommer nur unzureichend genutzt, um die Weichen für die Bekämpfung des Virus im Herbst und Winter 2020 zu stellen. Der Start des „Corona-Ampel-Systems“ war – die rechtlichen Rahmenbedingungen im COVID-19-Maßnahmengesetz wurden erst Wochen später geschaffen – holprig, wenngleich eine regionalisierte Pandemiebekämpfung angesichts der unterschiedlichen epidemiologischen Situationen in den Bundesländern und Bezirken äußerst sinnvoll erscheint. Abstimmungsprobleme zwischen dem Bund und Ländern – man denke etwa an die unkoordinierte Erlassung einer „Corona-Einreiseverordnung“ im August 2020 – sorgten für weiteren Zündstoff.
IV. Die Pandemiebekämpfung als personaltechnischer Kraftakt – Maßnahmen in Tirol
Bereits zu Beginn der COVID-19-Krise und den damit einhergehenden Vollzugsaufgaben im gesundheitsbehördlichen Bereich waren die primär hauptverantwortlichen Gesundheits- und Gesundheitsrechtsreferate in den Bezirksverwaltungsbehörden aufgrund des teils immensen Arbeitsaufwandes personaltechnisch schnell an ihre Grenzen gestoßen. Rasch hat sich gezeigt, dass der enorme Arbeitsanfall lediglich mit der Bereitstellung zusätzlichen Personals gestemmt werden kann. Von der Behördenleitung musste daher Personal aus anderen Referaten zugezogen und die sachlich mit der Pandemiebekämpfung betrauten Referate personell aufgestockt werden. Vielfach wurden auch „Personalpools“ geschaffen, in denen MitarbeiterInnen aus den unterschiedlichsten Referaten und Behördenbereichen zusammengezogen wurden, um prioritär den COVID-19-Vollzug zu stemmen. Mit Fortschreiten der Krise und neuerlichem Ansteigen der Fallzahlen nach dem ersten Lockdown sind vor allem Bezirkshauptmannschaften in kleineren politischen Bezirken, die ohnehin bereits über weniger MitarbeiterInnen verfügen, auch unter Berücksichtigung der vorhin erwähnten Maßnahmen wiederum an ihre personellen Kapazitätsgrenzen gestoßen. Krankenstände, Pensionierungen, aber auch COVID-19-Cluster innerhalb der Behörden, verschärften zudem die Lage. Als direkte Folge wurde der aktiv einsetzbare Personalstand noch weiter ausgedünnt.
Um die vorhandenen MitarbeiterInnen zu unterstützen und diese auch längerfristig zu entlasten, hat beispielsweise das Land Tirol mehrere Lösungsstrategien verfolgt. Ein naheliegender Ansatz verfolgte die Einstellung neuen Personals, um die angespannte Personalsituation in den Bezirkshauptmannschaften zu entschärfen. Da jedoch die Ausschreibungsfristen für neue MitarbeiterInnen eingehalten und Bewerbungsgespräche durchgeführt werden mussten, konnte dieses zusätzliche Personal nicht ad hoc zur Verfügung gestellt werden, weshalb man sich zur Überbrückung von unmittelbaren Personalengpässen anders behelfen musste. Aus diesem Grund wurden MitarbeiterInnen aus anderen Vollzugs- oder Landesabteilungen zur Verstärkung an die Bezirkshauptmannschaften entsendet. Zusätzlich zu dieser „MitarbeiterInnen-Umschichtung“ wurde in Tirol eine Zentraleinheit für die Pandemiebekämpfung, das sog „Corona-Zentrum“ geschaffen. Dort werden LandesmitarbeiterInnen eingesetzt, welche die Bezirkshauptmannschaften vordergründig beim Contact-Tracing unterstützen, aber auch Absonderungsbescheide im Namen für die jeweilige Behördenleitung erstellen und ausfertigen. Das „Corona-Zentrum“ hat dabei keine eigenständige Behördenstellung. Dessen MitarbeiterInnen sind Landesbedienstete im dienstrechtlichen Sinn, die durch ein konkretes (Einzel-)Mandat der Bezirksverwaltungsbehörde, welches wiederum durch die jeweilige Behördenleitung erteilt wird, hoheitlich tätig werden können. Dies hat zur Folge, dass die hoheitliche Tätigkeit im Auftrag und im Namen der jeweiligen Bezirksverwaltungsbehörde erfolgt und somit dieser zuzurechnen ist. Das Corona-Zentrum kann daher – zumindest dem Grunde nach – als behördliche Hilfseinrichtung ohne eigene Behördenqualität bezeichnet werden.
Daneben wird auch auf die SoldatInnen des Österreichischen Bundesheeres als zusätzliche Personalressource zurückgegriffen. Diese werden teils im Corona-Zentrum beschäftigt, teils auch direkt bei den Bezirkshauptmannschaften dienstzugeteilt. Dem Bundesheer kommt bei der Erfüllung der Aufgaben im Rahmen der Pandemiebekämpfung ebenfalls nur eine Hilfsfunktion zu. Dies bedeutet, dass das Österreichische Bundesheer mit Personal aushelfen oder etwa auch die Polizei bei der Durchführung der COVID-19-bedingten Grenzkontrollen oder Ausreisetestpflichten unterstützen kann. Bereits aufgrund der Vorgaben der Bundesverfassung kommt dem Österreichischen Bundesheer (im Zusammenhang mit der epidemierechtlichen Vollziehung) allerdings keine Behördenfunktion zu und kann dieses nicht hoheitlich im Rahmen der COVID-19-Vollzuges tätig werden. Eine Zuständigkeitsdelegation zum Bundesheer in diesem Bereich ist weder verfassungs- noch einfachgesetzlich verankert und wäre zudem verfassungswidrig, weil sie das System der mittelbaren Bundesverwaltung unterminieren würde.
Die gesetzten Maßnahmen trugen bisher maßgeblich dazu bei, die angespannte Personalsituation in den betroffenen Behörden so gut wie möglich zu entschärfen und den COVID-19-Vollzug bislang zu sichern. Sie konnten aber nicht verhindern, dass sich einige Bezirkshauptmannschaften in personeller Hinsicht seit Monaten dennoch am absoluten Limit bewegen und nur mit äußerster Kraftanstrengung den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen und rechtsstaatlichen Verwaltung entsprechen können. Eine Entspannung im Personalbereich ist zudem (noch) nicht absehbar und wird sich die diese Lage bei fortschreitender Pandemie wohl auch nicht grundlegend ändern. Zu hoffen bleibt lediglich, dass sich ein Großteil der österreichischen Bevölkerung für eine COVID-19-Schutzimpfung entscheidet und als Folge – zumindest in naher Zukunft – eine merkliche Reduktion der COVID-19-Fallzahlen sowie ein damit direkt in Zusammenhang stehender Rückgang des Arbeitsanfalls in den Bezirksverwaltungsbehörden eintritt.
V. Weitere Problemfelder
Da die Bezirksverwaltungsbehörden für einen einheitlichen Vollzug des Pandemierechts zu sorgen haben, ist eine permanente Anpassung der Erlasslage notwendig. Der Zeitdruck des Gesetz- und Verordnungsgebers setzt sich somit auch auf dieser Ebene fort, welche als Weisungsadressaten insbesondere im Weisungsgefüge der mittelbaren Bundesverwaltung verpflichtet sind, erlasskonform und in Bindung an die weisungsrechtlichen Vorgaben des Landeshauptmannes tätig zu werden. Bedingt durch die dynamische Rechts- und Erlasslage müssen interne Arbeitsabläufe regelmäßig angepasst bzw abgeändert werden, um die Rechtskonformität des Vollzuges auch im Hinblick auf die Vorgaben der obersten Vollzugsorgane zu gewährleisten. Zudem haben die Bezirksverwaltungsbehörden als Gesundheitsbehörde erster Instanz auch selbst das Infektionsgeschehen ihres eigenen Bezirks ständig zu eruieren und entsprechende Maßnahmen zu setzen.
Der COVID-19-Vollzug bindet darüber hinaus einen Großteil der zur Verfügung stehenden Personalressourcen, was sich im Rückstau sonstiger (Administrativ-)Verfahren bemerkbar macht. Die Bandbreite reicht hier von teils hochkomplexen und aufwendigen Verfahren bis hin zu standardisierten Massenverfahren. Es darf daher nicht übersehen werden, dass trotz des prioritären COVID-19-Vollzugs auch sonstige Verfahren (wie etwa Wasserrechts-, Naturschutz- oder gewerberechtliche Verfahren) nicht für die Dauer der Pandemie auf Eis gelegt werden können. Die gesetzliche Entscheidungspflicht nach § 73 AVG (max. 6 Monate) ist hier als zusätzliche Herausforderung der Bezirksverwaltungsbehörden zu werten.
VI. Ausblick
Die aufgezeigten Problemfelder verdeutlichen die schwierige Lage, in der sich die Bezirksverwaltungsbehörden in der gegenwärtigen Gesundheitskrise befinden. Sie haben sich stetig an die sich regelmäßig ändernden rechtlichen Rahmenbedingungen anzupassen und die behördeninternen Abläufe danach auszurichten. Dieser Koordinierungsaufwand bindet Ressourcen und nimmt Zeit in Anspruch, die angesichts der vielfältig zu erledigenden Aufgaben gerade nicht vorhanden zu sein scheint.
Die COVID-19-Krise zeigt aber auch, dass die Bezirksverwaltungsbehörden einen wertvollen Beitrag im Rahmen des Krisenmanagements liefern und ihr Engagement Anerkennung verdient. Daran ändert auch nichts, wenn einer Behörde manchmal ein Fehler unterläuft, zumal Krisenzeiten stets Lernprozesse sind. Zudem veranschaulicht gerade die gegenwärtige Gesundheitskrise, dass die Konzentration wichtiger Verwaltungsaufgaben bei den Bezirksverwaltungsbehörden, die regional verankert sind, im Rahmen der mittelbaren Bundes- und unmittelbaren Landesverwaltung einen orts- und sachnahen Vollzug gewährleistet und die Erzielung von Synergien ermöglicht.
* Dieser Beitrag ist eine stark gekürzte und modifizierte Version eines noch unveröffentlichten Artikels im Jahrbuch Öffentliches Recht.
Informationen zu Mathias Eller
Mathias Eller ist derzeit Insitutsassistent am Institut für Föderalismus in Innsbruck
mathias.eller@foederalismus.at
Zur Übersicht