Die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens

von Nicole De Palmenaer, 12.11.2024

An diesem 15. November 2024 begeht die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens zum 35. Mal ihren Festtag.[1] Dieser fällt nicht zufälligerweise mit dem Festtag des Königs zusammen. Durch die Wahl dieses Datums setzt die Deutschsprachige Gemeinschaft, als kleinster Teilstaat im föderalen Belgien ein wichtiges Zeichen. Auch wenn sie weiterhin nach mehr Autonomie strebt, steht sie auch in starker Verbundenheit zum Königshaus, dem Nationalstaat Belgien und dessen föderaler Struktur.

Belgien ist ein Föderalstaat mit einer dualen institutionellen Struktur. Diese duale Struktur setzt sich zusammen aus zwei Kategorien von föderalen Teilstaaten: die Gemeinschaften und die Regionen.

Die Gemeinschaften sind hauptsächlich für die kulturellen und personenbezogenen Kompetenzen zuständig. Die Deutschsprachige Gemeinschaft ist neben der Französischen Gemeinschaft und der Flämischen Gemeinschaft eine der drei Gemeinschaften Belgiens.Die Regionen sind hauptsächlich für die territorialen Kompetenzen zuständig. Die Regionen im belgischen Föderalstaat sind: die flämische Region, die Wallonische Region und die Region Brüssel-Hauptstadt.

Die Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft ist in der Verfassung verankert. Die Deutschsprachige Gemeinschaft ist daher ein gleichwertiger föderaler Teilstaat Belgiens, der allerdings eine gewisse Besonderheit aufweist. Die Deutschsprachigen Gemeinschaft erstreckt sich auf eine Fläche von etwa 854 km² auf der etwa 79.500 Einwohner*innen leben und zählt 9 Gemeinden. Sie ist eine der kleinsten geschützten nationalen Minderheiten in Europa. Der Schutz der nationalen Minderheit wird ihr durch die institutionelle Zuerkennung von politischer Selbstbestimmung auf ihrem Territorium gesichert.

2023 feierte das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft sein 50-jähriges Bestehen und somit 50 Jahre Gesetzgebungsbefugnis für die Deutschsprachigen Belgier auf ihrem Gebiet.[2] Ausgestattet mit einem Parlament, das sich aus 25 Abgeordneten zusammensetzt, die direkt gewählt werden, und einer Regierung mit 4 Mitgliedern (ein Ministerpräsident und drei Minister*innen) ist die Deutschsprachige Gemeinschaft heute für eine Vielzahl von Bereichen zuständig, die die Menschen vor Ort direkt betreffen - darunter: Gesundheit, Soziales, Wohnungsbau, Unterricht, Kindergeld, Beschäftigung, Seniorenpolitik, Urbanismus.

Seit 1973 wurde die Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft immer weiter ausgebaut. Ein Grund sind die sechs Staatsreformen, die Belgiens föderale Staatsstruktur bis heute geschaffen und weiterentwickelt haben. Die Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft zeichnet sich zudem durch die Ausführung von Zuständigkeiten aus, die der Verfassung nach den Regionen obliegen. Ein besonderer Artikel in der Verfassung ermöglicht der Wallonischen Region die Übertragung der Ausführung von Zuständigkeiten, die in ihrem Bereich liegen, an die Deutschsprachige Gemeinschaft. Diese Gegebenheit schafft für die Deutschsprachige Gemeinschaft eine gewisse Besonderheit, da sie nicht nur kulturelle und personenbezogene Zuständigkeiten autonom ausführt, sondern auch einige regionale Zuständigkeiten. Das Parlament übt folgende regionale Zuständigkeiten aus: Denkmal- und Landschaftsschutz, Ausgrabungen, Beschäftigung, Aufsicht und Finanzierung der Gemeinden, Tourismus, Raumordnung, Wohnungswesen und teilweise Energie. Dieser Umstand macht aus einer ursprünglichen Kulturgemeinschaft, eine Gemeinschafts-Region – und dies spiegelt auch die Komplexität des belgischen Föderalismus wider. Dadurch, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft sowohl gemeinschaftliche (kulturelle und personenbezogene) als auch regionale (bodenbezogene) Zuständigkeiten ausübt, hat sie nicht nur die Möglichkeit die Bereiche, die das Leben der Menschen und deren Kultur betreffen zu gestalten, sondern auch den eigenen territorialen Raum.

Der Festtag der Deutschsprachigen Gemeinschaft ist für diesen kleinsten Teilstaat im föderalen Belgien auch immer die Möglichkeit im In- und im Ausland auf sich aufmerksam zu machen und im Hinblick auf eine nächste Staatsreform ihre Anliegen in Sachen Autonomie, im Sinne der autonomen Gestaltung der eigenen Lebensbereiche und Lebensräume, zu bekunden. Besonders im Hinblick auf die weitere institutionelle Entwicklung des belgischen Föderalismus ist es für die Deutschsprachige Gemeinschaft wichtig, nicht abgehängt zu werden, sondern sich als gleichwertiger Teilstaat im föderalen Belgien zu behaupten.

 

Weitere Informationen zur Deutschsprachigen Gemeinschaft:

https://pdg.be/desktopdefault.aspx/tabid-6171/

https://ostbelgienlive.be/desktopdefault.aspx/tabid-72/186_read-448/

Fußnoten

  1. ^ Dieser Festtag ist, außer für die Verwaltung, kein gesetzlicher Feiertag. In Belgien hat jeder Teilstaat einen Festtag: Föderation Wallonie-Brüssel- 27. September; Flämische Gemeinschaft- 11. Juli; Wallonische Region-dritter Sonntag im September; Region Brüssel-Hauptstadt- 8. Mai.
  2. ^ Zu diesem Anlass hat das Parlament ein wissenschaftliches Kolloquium organisiert und in einer Schriftenreihe publiziert „Bd. 22: Die Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Windschatten der belgischen Staatsreformen. Rück- und Ausblick nach 50 Jahren. Beiträge zum Kolloquium vom 8. März 2024 im Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Eupen” - https://pdg.be/DownloadCount.aspx?raid=212622&docid=92689&rn=8470d0dd-c1d7-47c3-81e8-2ea087758906 )

 

Informationen zu Nicole De Palmenaer



Nicole De PalmenaerNicole De Palmenaer ist Betreuerin des Studiendienstes des Parlamentes des Deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien. Sie promovierte an der RWTH-Aachen und beschäftigt sich mit der Frage nach dem Mehrwert von Autonomie und Selbstbestimmung auf der Ebene kleiner Regionen. Sie analysierte dazu vergleichend die drei Autonomien - Deutschsprachige Gemeinschaft, Autonome Provinz Bozen, Provinz Åland.

nicole.depalmenaer@staff.pdg.be

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