Die Funktionen der Gemeinde im Lichte vertikaler Gewaltenteilung und der Bundesstaatlichkeit

von Mathias Eller, 06.08.2019

Die Stellung lokaler Gebietskörperschaften in föderalen Systemen fristet in der Föderalismusforschung bislang ein Schattendasein und wurde bislang nur rudimentär behandelt. Regelmäßig wird ausschließlich auf das Verhältnis der regionalen zur zentralen Ebene abgestellt und darauf aufbauend Rückschlüsse gezogen, etwa ob ein Staat als Einheits- oder Bundesstaat zu qualifizieren sei. Wenn man bedenkt, dass die Gemeinden die bürgernächste Ebene darstellen und gerade im Bereich der Daseinsvorsorge als unverzichtbar gelten, ist jedenfalls auch denkbar, von einem funktionalen Verständnis des Föderalismus auszugehen – eine Theorie also, die sich nicht an historischen Gründungsakten oder Souveränitätsfragen orientiert, sondern die zu erfüllenden Aufgaben im Bundesstaat in den Fokus des Interesses rücken.

Unabdingbare Voraussetzung für die Erstellung der vorliegenden Forschungsarbeit ist zunächst die Erarbeitung bundesstaatstheoretischer Grundlagen in Hinblick auf die Stellung lokaler Gebietskörperschaften im Gefüge eines Bundesstaates. Dieser Teil der Arbeit beschäftigt sich hauptsächlich mit der sowohl begrifflichen als auch inhaltlichen Heterogenität von „Gemeinden“ bzw. „lokaler Gebietskörperschaften“. Über den österreichischen Horizont hinaus werden ganz bewusst auch rechtsvergleichende Beispiele herangezogen, um zu veranschaulichen, welche Funktionen Gemeinden in einem Bundesstaat theoretisch übernehmen können.

Auf Basis des theoretischen Teils ist Ausgangspunkt für meine weiteren Überlegungen schließlich das in der internationalen Literatur entwickelte und die gesamte Arbeit durchziehende „self-rule/shared-rule“-Modell. Es handelt sich dabei um ein Modell, welches zwischen mittelbaren und unmittelbaren Partizipationsmöglichkeiten unterscheidet, also Fällen, in denen die Gemeinden selbständig generelle Rechtsnormen erlassen können und Fällen, wo sie lediglich an der Produktion derselben mitwirken. Primäres Ziel der Arbeit ist es, die daraus gewonnenen Erkenntnisse im Lichte des genannten Prinzips auf die österreichischen Gemeinden umzumünzen und die bisherige Lehrmeinung, Gemeinden seien ausschließlich mit Verwaltungsaufgaben konfrontiert, auf den Prüfstand zu stellen. Die zentrale Forschungsfrage meiner Arbeit lautet daher, welche Funktionen die österreichischen Gemeinden darüber hinaus in der Staatsgewalt der Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit auszuüben im Stande sind.

Unter dem Gesichtspunkt des „self-rule/shared-rule“-Modells sind die schlussendlich erzielten Forschungsergebnisse diesbezüglich durchaus beachtlich. So konnten neuartige Teilgesetzgebungsfunktionen der Gemeinden identifiziert und diese einer Kategorisierung zugeführt werden. Insbesondere im Bereich der Landesgesetzgebungsverfahren zeigt sich ein erstaunlich buntes Bild an Mitwirkungsrechten, sowohl in einer frühen als auch späten Phase eines Gesetzgebungsverfahrens. Beispielsweise ist es den Gemeinden unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, einen Antrag auf Erlassung oder Änderung eines Landesgesetzes zu stellen. Insofern wird die These, Gemeinden seien ausschließlich als Verwaltungsbehörden zu qualifizieren, doch erheblich relativiert und erfährt die Gemeindeebene im Gefüge der Staatsgewalten insgesamt eine weitere Aufwertung. Neben den klassischen Ortsgemeinden wird in der Dissertation in Bezug auf potentielle Gesetzgebungsfunktionen regelmäßig auch die besondere Rolle der österreichischen Statutarstädte hervorgehoben. Markant für diese rechtlichen Gebilde sind vor allem eine territoriale Verschmelzung der lokalen mit der regionalen Ebene und eine damit verbundene Außerkraftsetzung der Gewaltenteilung zwischen gesetzgebender und vollziehender Gewalt. In Bezug auf das jeweilige Stadtrecht, das auch Statut genannt wird, wird ersichtlich, dass die Gesetzgebung der Länder in ganz bestimmten Segmenten sogar unmittelbar von der untersten territorialen Ebene beeinflusst werden kann.

Im Bereich der Gerichtsbarkeit stellt sich dagegen heraus, dass die Gemeinden aktuell tatsächlich nicht daran partizipieren können. Daran ändert auch die schon bislang wenig bekannte Institution der Gemeindevermittlungsämter nichts, die mit BGBl I 14/2019 wohl auch nur noch von historischem Interesse sein wird. Ein Blick in die benachbarte Schweiz zeigt dagegen ein etwas anderes Bild. Die dort eingerichteten Gemeindegerichte müssen – freilich in einem sehr engen Anwendungsbereich – in Schlichtungsverfahren obligatorisch angerufen werden, bevor eine Klage im Instanzenzug vor dem zuständigen höheren Gericht eingebracht werden darf.

Insgesamt ist zu konstatieren, dass die dritte territoriale Ebene im österreichischen Bundesstaat eine starke Stellung genießt. Besonders evident wird dies im Rahmen des Fiskalföderalismus, wo die österreichischen Gemeinden einen Vergleich auch mit anderen Bundes- und Regionalstaaten nicht zu scheuen brauchen. Dasselbe gilt in Hinblick auf die Zuerkennung eines eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinden, der durch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Selbstverwaltung vor unzulässigen Eingriffen besonders geschützt wird und dem auch die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes einen hohen Stellenwert einräumt. Allerdings wäre es wenig realistisch zu glauben, dass die Gemeinden tatsächlich schon als gleichwertiger dritter Partner im österreichischen Bundesstaat anerkannt worden sind. Wenngleich man von einem Agieren auf Augenhöhe zwar noch ein gutes Stück entfernt ist, so nähert sich durch die Identifizierung von Aufgaben der Gemeinden auch außerhalb der administrativen Staatsgewalt diese Ebene aber dennoch den beiden anderen – nämlich Bund und Ländern – funktional an. Man darf jedenfalls gespannt sein, wie sich das Verhältnis der Gebietskörperschaften zueinander und insbesondere die Rolle der Gemeinden in Österreich in Zukunft weiter entwickeln werden.

Informationen zu Mathias Eller



Mathias EllerMathias Eller ist derzeit Insitutsassistent am Institut für Föderalismus in Innsbruck

mathias.eller@foederalismus.at

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