Die Konferenz zur Zukunft Europas – ohne Subsidiarität?
von Maximilian Fritsch, 07.07.2021Hinführung
Im politischen Raum wurde insbesondere im Umfeld der Europawahlen 2019 die Konferenz zur Zukunft Europas geboren, die als Programmpunkt in die Prioritätenliste der 2019 neu konstituierten EU-Kommission übernommen wurde. Nach einer fast zweijährigen, auch durch die Corona-Pandemie verlängerten Vorbereitungszeit, bei der die Verfassung des Prozesses und die Themenbildung konzipiert wurden, startete die Konferenz offiziell zum Europatag am 9. Mai 2021. Schon der Name verweist auf die starke politische Intention des Prozesses, denn der Begriff Europa ist plakativ. Die Gründungserklärung des Prozesses ist von den Vertretern - Organe der Europäischen Union - unterzeichnet worden, es handelt sich also um eine Konferenz zur Zukunft der Europäischen Union. Und auch der Begriff Konferenz ist noch etwas irreführend. Denn bezüglich der Organisation der Konferenz ist der Schwerpunkt auf einen Bürgerdialog gesetzt (vgl. dazu Art. 2 der Geschäftsordnung). Ihr Hauptziel soll sein, die Bevölkerung in der EU in einen Prozess einzubinden, in dem sie ihre Vorstellung und Wünsche an die EU und ihre Aufgaben artikulieren können. Hintergrund dafür sind die seit langem diskutierten demokratischen Defizite der EU-Organisation sein, die mit der Aushebelung des Spitzenkandidatenprinzips bei der Kommissionsbesetzung 2019 einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Daher wäre die Bezeichnung „Zukunftsdialog der Europäischen Union“ treffend. Die Berücksichtigung von Subsidiaritätsfragen, vor allem in Hinblick auf regionale Körperschaften in der EU, ist in diesem Kommunikationsprozess kaum erkennbar. Dies ist angesichts der Mehrebenendemokratie in der EU ein Defizit. Denn die Bevölkerungsbeteiligung durch die EU-Organe darf nicht blind sein gegenüber den übrigen politischen Ebenen in der Union, insbesondere den Regionen. Gerade auch sie sind Bindeglieder zwischen Bürgerschaft und Institutionen. In organisatorischen Fragen ist ihre Einbindung zwar ersichtlich. Hinsichtlich der inhaltlichen Themen fehlen aber Bezüge und Vorschläge zur Mehrebenendemokratie in der EU und damit auch zu den Regionen in der Union. Zwar sind die verschiedensten politischen Felder festgelegt, darunter auch der Oberbegriff „Demokratie“. Dieser wird in Unterkategorien differenziert, die sich jedoch weitestgehend auf das Verhältnis von Bevölkerung und EU-Institutionen beschränken. Dies sollte nicht so bleiben.
Rechtliche Grundlagen der Konferenz
Obwohl es angesichts der staatstragenden Bezeichnung des Prozesses zur Klarstellung durchaus angebracht wäre, wird sowohl in den Erklärungen als auch in den Dokumenten, die den Konferenzprozess erläutern, nur indirekt dargestellt, um welche Art von Konferenz es sich handeln soll. Rechtsgrundlagen werden gar nicht angegeben. Die Namensgebung deutet auf einen Konvent im Sinn einer Vertragsänderung nach Art. 48 EUV hin, die in der Gründungserklärung und der Geschäftsordnung genannten Kriterien beziehen sich aber eindeutig auf Art. 11 EUV. Laut der Art. 11 Abs. 1 EUV geben die Organe geben den Bürgerinnen und Bürgern und den repräsentativen Verbänden in geeigneter Weise die Möglichkeit, ihre Ansichten in allen Bereichen des Handelns der Union öffentlich bekannt zu geben und auszutauschen. Nach Abs. 2 pflegen die Organe einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft. Diese Anforderungen soll der Konferenzprozess laut der der Gemeinsamen Erklärung seiner Initiatoren erfüllen: Demnach soll die Konferenz einen Raum für die Debatte mit den Bürgerinnen und Bürgern eröffnen. Bürgerinnen und Bürger sollen an der Debatte teilnehmen und zu Wort kommen. Die Erklärung verweist weiter darauf, dass man sich den Werten, insbesondere auch dem Subsidiaritätsprinzip, in der EU verpflichtet. Dies wird ergänzt durch die Geschäftsordnung, wonach Subsidiarität als Querschnittsthema zum Diskussionsgegenstand werden kann. Damit ist zusammenzufassen: Die Konferenz kann aus dem Unionsrecht begründet werden und ihre Träger wiederum haben die Konferenz selbst in den Wertekanon der EU gestellt. Daraus muss sich die Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips und damit auch regionaler Belange ergeben.
Defizite des Konferenzprozesses in Bezug auf die Subsidiarität
Die Unionsinstitution mit dem stärksten Bezug zur Subsidiarität ist der Ausschuss der Regionen (AdR). Eine Einbeziehung seiner Sachkunde ist bei der Konferenz unterschiedlich ausgeprägt. In organisatorischer Hinsicht gibt es eine mit anderen Akteuren gleichwertige Beteiligung regionaler Vertreter. Organisatorisch setzt sich die Konferenz im Wesentlichen aus zwei Säulen zusammen. Den Kern des Prozesses bildet die Bürgerbeteiligung. Diese besteht aus Veranstaltungen wie den Bürgerforen, aber auch einer Internetplattform, auf der Ideen eingebracht werden können (https://futureu.europa.eu). Die Ergebnisse dieses Prozesses sollen am Ende dann durch eine Plenarversammlung, die bis dahin nur zur Konstituante und bei einem Zwischentermin zusammentritt, diskutiert und zu einem Leitlinienkonzept zusammengefasst werden, das zu konkreten Reformschritten in der EU führen soll. In dieser Versammlung gibt es 18 Personen, die vom AdR entsandt werden und die volle Mitgliedschaftsrechte in der Versammlung genießen. Der AdR ist darüberhinaus auch im Exekutivausschuss der Konferenz vertreten; allerdings sieht die Geschäftsordnung hier nur einen Beobachterstatus vor. Was die Veranstaltungsformate betrifft, werden in der Geschäftsordnung auch Veranstaltungsmöglichkeiten regionaler Behörden ausdrücklich genannt. Inhaltlich wird Subsidiaritätsfragen, insbesondere regionalen Interessen, jedoch kaum Aufmerksamkeit gewidmet. Es wurden laut Art. 2 der Geschäftsordnung Themen gesetzt, die im Zuständigkeitsbereich der EU liegen oder für die EU als Aufgaben sinnvoll sein könnten. Dieser Themenzuschnitt ist sehr oberflächlich, sind die Themenfelder doch mit Schlagworten wie „digitaler Wandel“ und „europäische Werte“ umrissen. Hier eine vernünftige Konkretisierung zu erarbeiten, die auch den Mehrebenenzuständigkeiten in der Union entspricht, dürfte der Plenarversammlung noch viel Arbeit bereiten, falls nicht nur plakative Forderungen am Ende des Prozesses stehen sollen. Unter diesem Aspekt regionale Belange einzufügen ist somit von der Themenkonzeption ausgehend ungünstig, aber machbar.
Verbesserungen und Verbesserungsvorschläge
Die genannten Defizite wurden zum Teil bereits aufgegriffen, zum Teil ist ihre Behebung noch offen. Der Ausschuss der Regionen greift, wenn schon nicht als EU-Organ so doch als EU-Institution, die Möglichkeiten auf, die ihm im Rahmen des Prozesses eröffnet werden. Der AdR hat sich selbst eine Agenda gegeben, um auf der Konferenz Präsenz zu zeigen. Er hat dazu in Entschließungen Position bezogen. Auf der 144. Plenartagung im Mai 2021 wurden wesentliche Kernforderungen geäußert. Diese lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass eine starke Beteiligung der Regionen an den politischen Prozessen in der Union gefordert wird. Der AdR hat sich weiter vorgenommen, dass lokale Ausschuss-Dialoge in den Mitgliedstaaten stattfinden. Er möchte auch auf seinen Plenartagungen und in den Fachkommissionssitzungen eigene Debatten durchführen und Stellungnahmen abfassen, die die Arbeit der Konferenz begleiten. Zuletzt hat der AdR eine sogenannte „Hochrangige Gruppe“ unter dem Vorsitz des früheren Präsidenten des Europäischen Rates Van Rompuy etabliert, der den Ausschuss bei der Konferenzarbeit beraten und mit dem die Konferenz auf lokaler und regionaler Ebene verankert werden soll.
Was hingegen bisher kaum thematisiert wurde, ist eine Forderung, die sich schon aus dem Unionsrecht ergäbe: Nämlich ein eigener inhaltlicher Schwerpunkt zur Subsidiarität, ein Ansatz zur Aufgabenkritik in Mehrebenendemokratie der Union. Demokratie wird auch durch Subsidiarität gestärkt. Entscheidungen von lokaler und regionaler Tragweite werden möglichst vor Ort getroffen, andere Angelegenheiten von den Mitgliedstaaten oder der Union erledigt. Die Bevölkerung hat auch ein Interesse an klaren Verantwortlichkeiten. Deshalb sollten Konkretisierungen der inhaltlichen Rubriken erfolgen, die den Mehrebenenzuständigkeiten gerecht werden. Subsidiarität muss auch anstelle eines „zusätzlichen“ Querschnittsthemas eine Grundsatzrubrik sein. Die zu diskutierenden Fachthemen müssen danach eingegrenzt werden, was überhaupt auf Unionsebene entschieden werden soll. Nur so sind auch substantielle Ergebnisse des Prozesses zu seinem geplanten Abschluss 2023 zu erwarten. Und das ist es, was alle Akteure vereinen sollte: Eine konstruktive Auseinandersetzung um die Zukunft der Europäischen Union.
Informationen zu Maximilian Fritsch
Dr. Maximilian Fritsch (Regensburg) wurde mit der Arbeit „Europa der Regionen – Überlegungen zu einem unionsrechtlichen Begriff der Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen anhand eines Rechtsvergleichs“ am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht sowie Kartell- und Regulierungsrecht an der Leuphana Universität Lüneburg promoviert. Für seine Dissertation erhielt er den Föderalismuspreis 2020.
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