Die Zukunft der Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung
von Christoph Schramek, 07.02.2017Ende Jänner haben sich die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP auf ein neues Arbeitsprogramm für die Jahre 2017/2018 geeinigt. In Punkt 5.2 des Programms wird unter dem Titel „Zuständigkeiten bündeln“ zunächst festgehalten, dass die im Oktober 2016 geschaffene Bund-Länder Arbeitsgruppe im Februar ihre Arbeit auf politischer Ebene fortsetzen wird. Darüber hinaus bekennt sich die Bundesregierung unter anderem zur Entflechtung der Kompetenzverteilung und kündigt dabei als „zentrale“ sowie „überfällige Maßnahme“ die Beseitigung der Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung in Art 12 B-VG an.
Der Kompetenztypus der Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung ist insofern speziell, als er ein wechselseitiges Zusammenwirken von Bund- und Ländern vorsieht. Dabei verfügt der Bund über die Zuständigkeit, allgemeine Grundsätze aufzustellen, die in weiterer Folge von den Ländern in Form von Ausführungsgesetzen näher konkretisiert werden. Der Verfassungsgerichtshof stellt hierfür zwei Verfassungsgebote auf, von denen das eine den Bund und das andere die Länder bindet: Der Bundesgesetzgeber ist verpflichtet, sich bei Erlassung des Grundsatzgesetzes auf die Aufstellung von Grundsätzen zu beschränken und soll über diese im Art 12 B-VG (vgl auch Art 14 Abs 3 und 14a Abs 4 B-VG für das Schulwesen) gezogene Grenze hinaus keine Einzelregelungen treffen, die der Landesgesetzgebung vorbehalten sind. Er darf somit seine Grundsatzgesetze nicht zu detailliert ausgestalten und muss den Ländern einen entsprechenden Spielraum zur näheren Ausgestaltung offen lassen. Umgekehrt dürfen die Ausführungsgesetze der Länder dem Grundsatzgesetz nicht widersprechen bzw es in seiner rechtlichen Wirkung verändern oder einschränken (vgl mwN VfSlg 19.658/2012 sowie allgemein zu zweistufiger Rechtserzeugung Kröll, 116 ff).
In der Theorie könnte eine derartige Form der Rahmengesetzgebung – bei entsprechender politischer wie rechtlicher Garantie selbständiger Gestaltungsmöglichkeiten der ausführenden Länder – ein durchaus wirkungsvolles bundesstaatliches Instrument sein. Insbesondere wäre es möglich, mit Hilfe dieser Gesetzgebungsform das Übergewicht des Bundes innerhalb der Kompetenzverteilung etwas abzuschwächen. Die Konsequenz einer funktionierenden Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, die darin liegt, regionale Differenzierungen bei gleichzeitiger Wahrung gewisser von zentraler Stelle festgelegter „Mindeststandards“ zuzulassen, würde letztendlich der bundesstaatlichen Idee, Vielfalt mit Einheit zu verbinden, am besten entsprechen (vgl Pernthaler/Esterbauer, 342; zu einer derartigen „vermittelnden Funktion“ von Art 12 B-VG auch Wallnöfer, 292 f).
Die österreichische Praxis konnte bisher mit diesen theoretischen Überlegungen nicht mithalten. Dies liegt zum einen daran, dass es keine justiziablen Kriterien des zulässigen Grades der Bestimmtheit von Grundsatzgesetzen gibt, und zum anderen an der damit zusammenhängenden Folge einer vielfach äußerst detaillierten Ausgestaltung von (Bundes-)Grundsatzgesetzen. Hinzu kommt noch, dass die Länder sich ihnen eröffnende Spielräume mitunter nicht ausnützen (Pürgy, 23; Wallnöfer, 293 f). Dieser nationale Befund deckt sich auch mit internationalen Entwicklungen: Zwar finden sich der österreichischen Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung entsprechende Kompetenztypen auch in anderen europäischen Staaten, diese sind allerdings entweder mit ähnlichen Problemen behaftet (Grundlagengesetzgebung in Spanien), wurden bereits beseitigt (Rahmengesetzgebung gem Art 75 GG alt in Deutschland) oder hätten beseitigt werden sollen, wie in Italien (konkurrierende Gesetzgebung gem Art 117 Abs 3 italienische Verfassung), was allerdings am negativen Ausgang der Volksabstimmung vom 4. Dezember 2016 zur Verfassungsreform gescheitert ist. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wurde die Grundsatz-/Rahmengesetzgebung in der Literatur als wenig zukunftsträchtiges Konzept betrachtet (vgl Bußjäger, 813 f).
Es stellt sich somit die Frage, wie mit der österreichischen Form der Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung weiter zu verfahren ist? Bei einer gänzlichen Beseitigung dieses Kompetenztyps, wie im Regierungsprogram 2017/18 vorgesehen, wäre beispielsweise denkbar, die bisher dort verankerten Kompetenztatbestände zwischen Bund und Ländern aufzuteilen. So könnte man die Tatbestände „Armenwesen“ (Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG), „öffentliche Einrichtung zur außergerichtlichen Streitbeilegung“ (Z 2) sowie „Bodenreform“ (Z 3) den Ländern gem Art 15 Abs 1 B-VG zuweisen und demgegenüber den „Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge“ (Z 4) sowie das „Arbeiterrecht, soweit es sich um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter handelt“ (Z 6), in Gesetzgebung dem Bund und Vollziehung den Ländern nach dem Modell des Art 11 B-VG übertragen.
Einen anderen, kreativeren Weg würde man mit der Schaffung eines neuen Kompetenztypus beschreiten. Denkbar wäre – nach einem Textvorschlag des Instituts für Föderalismus aus dem Jahr 2014 – eine „gemeinschaftlichen Gesetzgebung“, die eine flexiblere und den konkreten Bedürfnissen angepasste Kompetenzwahrnehmung ermöglichen würde. Eine derartige Form der Gesetzgebung könnte für die Tatbestände „Krankenanstalten“, „Elektrizitätswesen, soweit es nicht unter Art 10 fällt“, „Abfallwirtschaft“ sowie „Luftreinhaltung“ gelten und grundsätzlich bei den Ländern angesiedelt sein. Zusätzlich würde dem Bund dann die Möglichkeit offenstehen, mit Zustimmung einer deutlichen Mehrheit (zB zwei Drittel) der beteiligten Länder eine abschließende Regelung zu treffen oder sich alternativ auf die Erlassung bestimmter Grundsätze zu beschränken (Bußjäger/Lütgenau/Thöni, 21). Ein derartiges Modell könnte sodann für weitere Kompetenztatbestände fruchtbar gemacht werden, was letztendlich auch der im Österreich-Konvent vertretenen Auffassung Rechnung tragen würde, dass mit einer starren Aufteilung der Kompetenzen den Anforderungen eines modernen Bundesstaates und den Erfordernissen der Europäischen Union nicht entsprochen werden könne (Bericht des Österreich Konvents, Band 1, Teil 3, S. 111).
In allen Reformüberlegungen zur Grundsatzgesetzgebung darf im Weiteren aus föderalistischer Sicht ein wesentlicher Vorteil dieses Kompetenztypus nicht übersehen werden: Die Grundsatzgesetzgebung hindert den Bundesgesetzgeber nicht nur an einer übergroßen Regulierung der Materie, sondern belässt den Ländern – im Gegensatz zum Kompetenzregime des Art 11 (vgl dort Abs 3) - zumindest die Kompetenz zur Erlassung der Durchführungsverordnungen. Dadurch wird der Bundesgesetzgeber auf eine Weise eingebremst, wie dies im Art 11 B-VG nicht erfolgt. Man sollte das Regelungsmodell des Art 12 B-VG daher nicht aufgeben, ohne einen föderalistisch zumindest gleichwertigen Ersatz zu garantieren.
Literatur:
Berchtold, Bemerkungen zur Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, ÖJZ 1970, 281 ff.
Bußjäger, Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen für die Diskussion über die Reform der bundesstaatlichen Kompetenzordnung in Österreich, in: Gamper et al (Hg), Föderale Kompetenzverteilung in Europa (2016) 807.
Bußjäger/Lütgenau/Thöni, Föderalismus im 21. Jahrhundert (2012).
Gamper, Föderale Kompetenzverteilung in Europa: Vergleich und Analyse aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: Gamper et al (Hg), Föderale Kompetenzverteilung in Europa (2016) 763.
Kröll, Grundsatzgesetzgebung und Richtlinienrechtsetzung – Zweistufige Rechtserzeugung im österreichischen Bundesstaat und im europäischen Staatenverbund, ZfV 2016, 115 ff
Pernthaler/Esterbauer, Der Föderalismus, in: Schambeck (Hg), Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung (1980) 325 ff.
Pürgy, Bundesverfassungsrecht und Landesrecht, in: Pürgy (Hg), Das Recht der Länder, Bd I (2012) 1 ff.
Wallnöfer, Bundesstaatlicher Wert und Unwert von Art 12 B-VG am Beispiel des Elektrizitätsrechts, in FS Karl Korinek (2010) 287 ff.
Informationen zu Christoph Schramek
Dr. Christoph Schramek ist seit Oktober 2016 Assistent am Institut für Föderalismus.
christoph.schramek@foederalismus.at
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