EVTZ: Modellhafte Zusammenarbeit in französich-belgischer Grenzregion
von Alice Engl, 12.02.2015Eine europäische Metropolregion aufbauen ist das Bestreben von rund 145 Städten und Gemeinden im Grenzraum zwischen Frankreich und Belgien unter der Federführung der drei Städte Lille (Frankreich), Kortrijk (Flandern, Belgien) und Tournai (Wallonien, Belgien). Bereits seit den frühen 90er Jahren gibt es dort eine rege kommunale grenzüberschreitende Zusammenarbeit und im Jahre 2008 wurde die Kooperation als EVTZ Eurométropole Lille-Kortrijk-Tournai formalisiert. Die institutionelle Zusammenarbeit im Rahmen dieser Metropolregion zeichnet sich durch zwei besondere Elemente aus, die sie von den meisten anderen Europaregionen und ähnlichen grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen deutlich unterscheidet: eine auffallende Mehrebenen-Partnerschaft und eine ausgeprägte Inklusion verschiedenster Akteure.
So sind an diesem EVTZ nicht nur Gemeinden und Städte beteiligt, sondern auch Vertreter der Provinzen Westflandern, Hainaut und des Départements du Nord, Vertreter der Regionen Flandern, Wallonien und Nord-Pas-de-Calais, Vertreter der flämischen und französischen Gemeinschaft Belgiens sowie staatliche Vertreter aus Frankreich und Belgien. Damit nutzen die Partner das innovative Potential des EVTZ-Instruments, mehrere Regierungsebenen zusammenzuführen und gemeinsam als neue Rechtsperson zu agieren. Mit dieser Mehrebenen-Partnerschaft, die sich wie ein roter Faden durch die Struktur und Inhalte der Kooperation zieht, sollten vor allem kompetenzrechtliche Einschränkungen der im Vorfeld stattgefundenen Gemeindenzusammenarbeit überwunden und der Zusammenarbeit mehr Gewicht und Handlungsspielraum gegeben werden.
Geleitet wird die Zusammenarbeit von einer 84-köpfigen Versammlung und einem Vorstand, der sich aus 32 Versammlungsmitgliedern bildet. Mehr als zwei Drittel der Sitze in der Versammlung sind den Gemeinden bzw. Städten zugeteilt, sechs Sitze den Provinzen, 12 Sitze den Regionen und Gemeinschaften und vier Sitze den staatlichen Vertretern. Ähnlich gegliedert ist auch der Vorstand, der ebenso zwar alle Regierungsebenen einschließt, aber mehrheitlich lokale Vertreter umfasst. Zur Planung von konkreten Projekten wurden sechs Arbeitsgruppen eingerichtet, die sich jeweils mit den Themen wirtschaftliche Entwicklung, Mobilität, nachhaltige Entwicklung, Kultur, Tourismus und Dienstleistungen für die Bürger befassen und zum jeweiligen Thema Kooperationsstrategien und Projektvorschläge ausarbeiten. Auch an den Arbeitsgruppen nehmen politische und administrative Vertreter aller Regierungsebenen teil sowie Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen. An und für sich sind solche Arbeitsgruppen ein wenig innovatives Element der Zusammenarbeit, aber ihre diesem Fall innewohnende besondere und breit gefächerte Zusammensetzung und ihr klarer Auftrag garantieren einen regelmäßigen Austausch zwischen allen relevanten Akteuren des Grenzraums und der verschiedenen Regierungsebenen und bilden eine geeignete Basis für eine wirksame und langfristige Kooperation. Sämtliche administrative Angelegenheiten der grenzüberschreitenden Metropolregion übernimmt eine eigens in Kortrijk eingerichtete gemeinsame Dienststelle, die rechtlich dem EVTZ unterstellt ist. Sie wird von einem ständigen Generalsekretär geleitet und beschäftigt elf weitere Mitarbeiter aus Frankreich und Belgien, die sich um Kommunikation, Verwaltung und Finanzen sowie um die verschiedenen Kooperationsschwerpunkte kümmern.
Die Mehrebenendynamik, die durch diese innovative Form der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen öffentlichen Körperschaften erzeugt wird, zeigt sich auch bei den konkreten Tätigkeiten, die von den Partnern umgesetzt werden. Beispielgebend ist die Initiative für eine optimierte Erreichbarkeit und Vernetzung der Region, die hauptsächlich von den Gemeinden initiiert und getragen wird, aber gleichzeitig rechtlich von einer gemeinsamen Absichtserklärung zwischen der EVTZ-Präsidentschaft, der französischen und der belgischen Eisenbahngesellschaft sowie staatlichen Vertretern aus Frankreich und Belgien umrahmt wird. Diese lokale Initiative, die in Kooperation mit anderen Regierungsebenen und Partnern umgesetzt wird, bildete die Grundlage für konkrete Maßnahmen, um die gesamte Region besser an internationale Verbindungen anzuknüpfen und um innerhalb der Metropolregion den grenzüberschreitenden Personennahverkehr zu verbessern, etwa durch die Schaffung neuer grenzüberschreitender Verbindungen und durch die Einführung von reduzierten Tarifen im Grenzraum.
Damit zeigt das Beispiel der Eurométropole Lille-Kortrijk-Tournai, dass es konkrete Möglichkeiten gibt, die kommunale und regionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit durch innovative Formen von Governance zu bereichern und echte Mehrebenenpartnerschaften aufzubauen, die eine wirksame grenzüberschreitende Politikgestaltung ermöglichen. Das Instrument EVTZ ist ein möglicher Weg, entscheidend ist aber auch ein grundlegender politischer Wille.
Informationen zu Alice Engl
Dr. Alice Engl forscht am Institut für Minderheitenrecht der Europäischen Akademie Bozen mit Schwerpunkt Minderheitenrechte und Europäische Integration. Foto: EURAC
Alice.Engl@eurac.edu
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