Gedanken zur Abstimmung in Katalonien
von Mario Kölling, 03.10.2017Vom 1. Oktober 2017 werden aus Katalonien sicher die Bilder der Gewalt zwischen Demonstranten und der Polizei in Erinnerung bleiben. Sie sind die sichtbaren Zeugnisse eines langjährigen Konflikts, in dem die Regierungen Spaniens und Kataloniens gleich zweier Züge unaufhaltsam aufeinander zurasen. Beiden Seiten wird von der öffentlichen Meinung seit langem ein schlechtes Krisenmanagement vorgeworfen. Während sich die spanische Regierung hinter juristischen Argumenten verschanzt hielt, sucht eine zunehmend radikalisierte katalanische Regierung die permanente Herausforderung. Die Forderungen internationaler Mandatsträger, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen, ist ein logischer Schritt, scheint aber auch ein neuer Punktesieg für die Katalanische Regierung zu sein, während Madrid nur wieder auf geschaffene Fakten reagieren kann.
Aber die Realität ist nun einmal viel komplexer. Es handelt sich weder bei den Katalanen um einen homogenen Block, sondern um eine stark mobilisierte Minderheit und eine schweigende Mehrheit, noch befindet sich Spanien in den Hände von rückwärtsgewandten Zentralisten, sondern ist ein modernes, plurales und demokratisches Land, in dem alle Autonomen Gemeinschaften über weitreichende Kompetenzen und politischen Spielraum verfügen.
In den letzten Wochen hat sich allerdings der Konflikt zugespitzt. Allen parlamentarischen Prinzipien zum Trotz und unter heftigen Protesten der Opposition verabschiedete eine zunehmend radikalisierte Allianz der von links bis rechts reichenden separatistischen Kräfte am 6. September das sogenannte Referendumsgesetz im katalanischen Parlament mit absoluter Mehrheit. Damit positionierte sich das Parlament einseitig gegen die spanische Verfassung, das katalanische Statut und die Warnungen der Rechtsbeistände.
Das Verfassungsgericht hat kurz danach das Referendum untersagt, worauf die Zentralregierung versuchte, dessen Organisation zu unterbinden. Trotz des Verbots schritt die Regierung Kataloniens mit der Organisation voran, um mit dem Referendum einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung Legitimität zu verschaffen. Ohne das Eingreifen der Polizeikräfte verteidigen zu wollen, muss auch die Passivität der katalanischen Polizei verurteilt werden.
Die katalanische Unabhängigkeitskampagne scheint mit der Forderung auf ein Recht zur Selbstbestimmung grundlegende demokratische Prinzipien einzufordern. Der Slogan „Wir wollen abstimmen" klingt gut, ist und bleibt aber auch eine leere Worthülse. Auf die Fragen, wer abstimmen kann, worüber und wie oft, kann man durchaus zu vielfältigen Antworten kommen. Zum anderen erfüllte das Referendum keine der von der „Venedig-Kommission" des Europarates formulierten Normen für solche Abstimmungen. Demnach sollen Volksabstimmungen frei, geheim und direkt sein sowie mit übergeordneten Gesetzen eines Landes übereinstimmen. Zudem müssen die Abstimmenden die Freiheit haben, sich in einer öffentlichen Debatte eine eigene Meinung zu bilden. In Katalonien gab es weder ausgewogene und neutrale Information noch eine alternative Kampagne. Das illegale Referendum wurde ohne Garantien abgehalten, so gab es weder eine Liste der Wahlberechtigten, Personen konnten mehrfach wählen, Wahlurnen wurden zum einen beschlagnahmt oder zum anderen ähnlich einem Katz- und Maus-Spiel in verschiede Wahllokale gebracht…. Die Ergebnisse, die die Katalanische Regierung trotz aller Schwierigkeiten am 01. Oktober gegen 20:00 Uhr verkündete, sind daher mehr als fragwürdig. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel.
Die Option, legitime Neuwahlen auszurufen, wurde nicht von der katalanischen Regierung erwogen, wohl auch aus Angst, die Regierungsmehrheit zu verlieren. Bei allen jüngeren Wahlen in Katalonien hatten Parteien, die gegen die Sezession sind, eine größere bzw. ähnliche Unterstützung wie die Befürworter erhalten. Auch die Zahl der Unterstützer der Unabhängigkeit in der Bevölkerung geht seit Ende 2014 zurück. Traditionell gibt es ungefähr 15 Prozent Befürworter der Unabhängigkeit. Diese Zahl hatte sich besonders seit der Wirtschaftskrise und der aktiven Propaganda der katalanischen Regierung für die Unabhängigkeit erhöht, bis auf 48 Prozent 2014.
Mit demokratischem Anschein hat die Regierung Kataloniens in den vergangen Jahren die Unabhängigkeit als Heilsversprechen für alle wirtschaftlichen und sozialen Probleme propagiert. Es geht aber um mehr als eine suggerierte Selbstbestimmung, sondern um einen regionalen nationalistischen Egoismus, der sich der innerstaatlichen Solidarität zu entziehen versucht. Auf dem Spiel stehen weiterhin die Wahrung der Verfassung einer dezentralisierten Demokratie und die Bewahrung des empfindlichen Gleichgewichts nicht nur in der pluralistischen katalanischen Gesellschaft, sondern auch in den anderen Autonomen Gemeinschaften Spaniens. In den letzten Monaten gab es durchaus Annäherungsversuche von Seiten der spanischen Regierung, alle Parteien haben aktiv für eine politische Lösung des Konflikts geworben. Dabei kommt einer möglichen Verfassungsreform hin zu einem föderalen Modell immer mehr Bedeutung zu. Der 1. Oktober hat den Konflikt in Katalonien nicht nur auf die internationale Agenda, sondern auch ins Zentrum des kollektiven Bewusstseins in Spanien gerückt. Sah Anfang September noch die Mehrheit der Spanier die Arbeitslosigkeit und den Terrorismus als wichtigste Probleme an, hat sich dies nun geändert. Inwieweit dies für die Lösung des Konflikts hilfreich ist, bleibt abzuwarten.
Informationen zu Mario Kölling
Mario Kölling ist Assistenzprofessor im Fachbereich Politikwissenschaft an der UNED in Madrid und Projektkoordinator der Manuel Giménez Abad Stiftung am Landtag von Aragon. Von 2011 bis 2014 war er García Pelayo Forscher am Zentrum für politische und konstitutionelle Studien in Madrid.
MKoelling@fundacionmgimenezabad.es
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