Wie wirken sich Gemeindefusionen auf die Finanzen aus?
von Mathias Eller, 20.09.2023Österreich verfügt derzeit über 2.093 Gemeinden,[1] weshalb die lokale Ebene im internationalen Vergleich grundsätzlich als kleinstrukturiert zu bezeichnen ist. Dies gilt im Besonderen mit Blick auf die jeweilige Bevölkerungszahl: In mehr als der Hälfte der österreichischen Gemeinden liegt diese unter 2.500 Einwohnerinnen und Einwohnern. Tirol und Vorarlberg zeichnen sich dabei durch eine besonders kleinräumige Gemeindestruktur aus.
Angesichts der aktuellen Herausforderungen, mit denen sich Gemeinden, die von den Bürgerinnen und Bürgern zunehmend als Serviceeinrichtungen betrachtet werden, konfrontiert sehen, hat sich deren finanzielle Lage in den letzten Jahren zusehends verschlechtert. Forderungen nach Gemeindevereinigungen bzw. Gemeindefusionen wurden von politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern vermehrt artikuliert und im Wesentlichen mit damit erhofften oder auch erwarteten Einsparungseffekten gerechtfertigt. Mit der Frage, ob diese Behauptung tatsächlich zutrifft, hat man sich in der Wissenschaft bisher lediglich rudimentär auseinandergesetzt.
Umso interessanter liest sich eine an der Universität Graz im Jahr 2021 eingereichte Masterarbeit, die sich mit den finanziellen Auswirkungen der Steiermärkischen Gemeindestrukturreform 2015, die eine Verringerung der Anzahl der steirischen Gemeinden von 539 auf 287 zum Inhalt hatte, beschäftigt.[2] Dabei wurden vom Autor der Arbeit, der über ein Vierteljahrhundert als Finanzdirektor der Gemeinde Mürzzuschlag agierte und daher als profunder Kenner der Materie gilt, die Haushaltsergebnisse der Jahre 2013, 2014 und 2019 herangezogen und lassen sich daraus valide Schlüsse ziehen.
Konkret wurden die Kennzahlen „Öffentliche Sparquote“ (misst die Ertragskraft) und „Quote freie Finanzspitze“ (misst die finanzielle Leistungsfähigkeit) in allen 130 ab 2015 vereinten und 156 nicht vereinten bzw. in ihrem Bestand unverändert gebliebenen steirischen Gemeinden ermittelt und mit einem vom KDZ entwickelten Bonitätstest bewertet (max. 50 Punkte). Bei Betrachtung des arithmetischen Mittels der Gesamtpunkte (ÖSQ und FSQ) erlitten alle – sowohl die 130 ab 2015 vereinten als auch die 156 unverändert bzw. nicht vereinten – Gemeinden in den Jahresvergleichen 2013 auf 2014 und 2013 auf 2019 eine Verschlechterung ihrer finanziellen Lage. Das arithmetische Mittel der Gesamtpunkte verringerte sich bei im Bestand unverändert gebliebener Gemeinden von 2013 auf 2014 von 23,64 moderat auf 22,55; dieser Abwärtstrend hielt auch von 2014 auf 2019 mit einer Verschlechterung von 22,55 auf 20,62 Punkte an. Dagegen erlebten die ab 1.1.2015 130 vereinten Gemeinden von 2013 auf 2014 durchschnittlich eine signifikante Verschlechterung ihrer Bonität von 22,42 auf 15,32 Punkte, sie schafften jedoch zwischen 2014 und 2019 eine Trendumkehr in Form einer Verbesserung auf 18,92 Punkte. Festzuhalten ist dennoch, dass der Wert gemäß dem Haushaltsergebnis 2013 in Höhe von 22,42 Punkten (noch) nicht erreicht werden konnte.
Die Frage, ob es größeren kommunalen Einheiten auf Grund der erzielbaren Skaleneffekte besser gelingt, die finanziellen Herausforderungen der kommenden Jahre zu bewältigen, wird am Ende der Arbeit vom Autor bewusst offengelassen. Es empfiehlt sich jedenfalls eine differenzierte Betrachtungsweise – nicht nur, aber gerade auch aufgrund der multiplen Krisen und damit in Zusammenhang stehenden unvorhersehbaren finanziellen Einbußen auf lokaler Ebene in den letzten Jahren, dessen Auswirkungen in der besprochenen Arbeit allerdings nicht mehr berücksichtigt werden konnten.[3]
An den Ergebnissen der steiermärkischen Gemeindestrukturreform lässt sich allerdings schon ableiten, dass Gemeindevereinigungen nicht zwangsläufig zu Einsparungseffekten führen müssen – wenn dies doch gelingt, dann stellen sich diese Effekte erst in einer mittel- bis langfristigen Betrachtung ein. Damit findet sich auch die im Jahr 2018 mit dem Föderalismuspreis ausgezeichnete Studie von Blesse/Rösel[4] bestätigt, wonach sich kommunale Gebietsreformen auf öffentliche Ausgaben, Effizienz und Qualität der Verwaltung in nur ganz wenigen Fällen nachweislich positiv auswirken.
Umso wichtiger wäre es, dass sich Gemeinden der verschiedenen Formen interkommunaler Zusammenarbeit (Gemeindeverbände, Verwaltungsgemeinschaften etc.) in den nächsten Jahren intensiver bedienen. Dies trifft angesichts immer komplexer werdender Aufgabengebiete besonders auf Klein(st)gemeinden zu, die nicht zuletzt aufgrund ihrer personellen und größtenteils auch finanziell knappen Ausstattung wohl gut beraten wären, derartige Gemeindekooperationen zu forcieren. Damit kann dem Spannungsverhältnis zwischen größtmöglicher Bewahrung ihrer Eigenständigkeit und notwendiger Auslagerung von Gemeindeaufgaben mE am besten begegnet werden. Gemeindefusionen wären indes als „ultima ratio“ anzusehen und sollten gerade vor dem Hintergrund der unklaren finanziellen Auswirkungen von einem breiten Konsens der betroffenen Bevölkerung getragen und nicht „von oben“ verordnet werden.
[1] Siehe dazu https://gemeindebund.at/themen-zahlen-und-fakten-struktur-der-gemeinden/ (11.09.2023).
[2] Abrufbar unter https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/7035781 (11.09.2023).
[3] Mittlerweile ist in der Zeitschrift GEOGRAZ vom Autor dazu unter dem Link https://unipub.uni-graz.at/geograz/periodical/titleinfo/9414029 ein aktueller Artikel erschienen. Die genannte Zeitschrift ist im Allgemeinen frei unter https://unipub.uni-graz.at/geograz abrufbar.
[4] Blesse/Rösel, Was bringen kommunale Gebietsreformen? Kausale Evidenz zu Hoffnungen, Risiken und alternativen Instrumenten, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Band 18, Heft 4 (2017), 307–324.
Informationen zu Mathias Eller
Mathias Eller ist derzeit Insitutsassistent am Institut für Föderalismus in Innsbruck
mathias.eller@foederalismus.at
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