Kann die Selbstverblödung des Staates noch verhindert werden?
von Christoph Müller, 06.03.2023Dieser Blog-Beitrag beschäftigt sich mit der Ende Februar vorgestellten Initiative „Bessere Verwaltung“, die in sieben Bereichen Ziele und insgesamt 50 Maßnahmen für die Reform und Stärkung der Bundesverwaltung enthält (www.bessereverwaltung.at). Laut den 16 Autor:innen ist die Bundesverwaltung durch jahrzehntelangen parteipolitischen Einfluss massiv geschwächt und nicht mehr strategiefähig. Was bedeutet dieser Befund für das Zusammenspiel mit den anderen Ebenen und Formen der Verwaltung?
Ausgangspunkt
„Die Unterscheidung von Politik und Verwaltung ist institutionell in jedem demokratischen Rechtsstaat normativ geboten und auch faktisch festzustellen. In funktioneller Schau verwischen sich allerdings die Unterschiede zwischen Politik und Verwaltung, sodass der Wirklichkeit eher eine Betrachtungsweise gerecht wird, die von einem zur Einheit verschmolzenen, politisch-administrativen Gesamtsystem ausgeht.“
Diese 2006 vom ehemaligen Verfassungsrichter und emeritierten Universitätsprofessor Peter Oberndorfer vorgenommene Beschreibung ist zutreffend, ändert jedoch nichts daran, dass Politik und Verwaltung für sich gesehen jeweils nach eigenen Gesetzmäßigkeiten und Logiken funktionieren. Der wesentliche Unterschied ist, dass sich die Politik bzw. die im Wettbewerb stehenden politischen Parteien regelmäßig demokratischen Wahlen stellen müssen und dementsprechend andere Vorstellungen bezüglich der Kurz-, Mittel- und Langfristigkeit politischer Maßnahmen und Strategien haben. Dies gilt insbesondere für real oder scheinbar unpopuläre Maßnahmen und Reformen, die im Zusammenhang mit der nächsten Wahl ein Problem darstellen können oder aus Sicht der wahlwerbenden Parteien könnten.
Wird Politik immer mehr zur (reinen) Parteipolitik?
Ende Februar 2023 stellten 16 teilweise sehr prominente Personen die Initiative „Bessere Verwaltung“ vor. Neben Irmgard Griss, Clemens Jabloner und einigen Wissenschaftlern melden sich auch die ehemaligen Spitzenbeamt:innen Elisabeth Dearing, Manfred Matzka und Thomas Wieser zu Wort. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen – und in gewisser Weise eine Weiterentwicklung der Analyse von Peter Oberndorfer – ist die Feststellung, dass sich gegenwärtig die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sehr stark auf die politische Korruption richtet und somit verengt: „Unter der Oberfläche bestehen schon länger zunehmende Unzulänglichkeiten an der Schnittstelle zwischen Politik und Verwaltung. Dafür ausschlaggebend sind unter anderem: im internationalen Vergleich übergroße Ministerkabinette und ihre Arbeitsweise, die Besetzung von Leitungsfunktionen nach parteipolitischen Kalkülen, strategische Untersteuerung und operative Übersteuerung der Verwaltung, Ausdünnung der Ressorts im Bereich fachlicher und rechtlicher Kompetenzträger:innen und die Auslagerung von Kernaufgaben von Ressorts an externe Berater:innen.“
Die Trinität des Spitzenfunktionärs
Auf dieser Basis definieren die Autor:innnen sieben Problembereiche: Organisation der Bundesministerien, Strategische Ausrichtung und Steuerung der Bundesverwaltung, Krisenmanagement und -prävention, Transparenz und Antikorruption, Informationstechnologien, Kooperation und Partizipation sowie Europäisierung. Zuerst wird in jedem Bereich der Status Quo erhoben, um dann auf dieser Basis Ziele und insgesamt 50 Maßnahmen zu formulieren. Darunter sind – neben einigen eher abstrakten und allgemeinen – sehr konkrete Maßnahmen wie die Beschränkung der Kabinettsmitarbeiter:innen auf sechs Personen oder das Verbot der in manchen Ministerien verbreiteten Unart der Doppelverwendung in Kabinetten und Ministerialstruktur Kabinett-Sektionschef:in oder Kabinett-Abteilungsleitung. Vereinzelt war sogar schon die Dreifachverwendung Kabinettchef, Generalsekretär und Sektionsleiter zu beobachten.
Schwächung der (Bundes)Verwaltung nicht nur in Österreich?
Auch in Deutschland hat sich in die Kritik an der Arbeitsweise der Bundesregierung verstärkt. So berichten seit vielen Jahren Spiegel, Zeit und FAZ über Outsourcing von Gesetzgebungsvorhaben an Anwalts- und Wirtschaftsprüfungskanzleien. Laut einer 2020 veröffentlichten Studie der Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland kann die deutsche Rüstungsindustrie erheblichen Einfluss auf die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik nehmen. Das widerspreche der im Grundgesetz geforderten strikten Kontrolle durch Parlament und Regierung, da es nicht genügend Fachkompetenz in Bundestag und Verteidigungsministerium gebe. Deshalb müsse im Ressort ein Gremium eingerichtet werden, das erörtert, welcher Bereich intern gestärkt werden muss und wo externe Dienstleistungen angemessen sind. Dieser auch in Österreich zunehmende Zukauf externer Expertise erfüllt für Clemens Jabloner den Tatbestand der Selbstverblödung des Staates.
Ist die Bundesverfassung schuld an der mangelhaften Politiken-Koordination
1975 formulierten Heinz-Peter Rill und Heinz Schäffer in einer für die Österreichische Raumordnungskonferenz erstellten Untersuchung: „Angesichts der bereits von der Verfassung wegen begründeten verbands- wie organ-kompetenzrechtlichen Pluralität der Entscheidungsträger stellt sich als erstes die Frage, inwieweit die Verfassung dem von ihr geschaffenen Koordinationsbedarf durch Einsetzung entsprechender Koordinationsinstrumente Rechnung trägt. Insgesamt gesehen, kann vorweg festgestellt werden, dass der Gedanke möglichst klarer Trennung der Kompetenzen von Rechtsträgern und Organen die Bundesverfassung weitaus stärker prägt als der Gedanke, die Koordination zwischen Rechtsträgern und Organen zu fördern.“
Diese Feststellung gilt meines Erachtens nach wie vor. Mehr noch: Angesicht der Herausforderungen an zukunftsorientiertes Regieren im Mehrebenensystem der Europäischen Union fallen diese Koordinationsdefizite noch stärker ins Gewicht. Und das gilt nicht nur für die Bundesebene. Darum verwundert es nicht, dass die Initiative unter Verweis auf das Thema Kinderbetreuung der unter 6-jährigen ausführt: „Die Schnittstelle zwischen Bundesministerien und Ländern zeigt erhebliche Steuerungsdefizite. So sind in den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern die Städte und Gemeinden nach wie vor keine gleichberechtigten Verhandlungs- und Vertragspartner. In den Verhandlungen sowohl zum Finanzausgleich als auch zu Art. 15a Verträgen geht es primär um die Verteilung von Budgetmitteln. Die Aufgabenentwicklung oder regionale Unterschiede und Bedürfnisse werden kaum berücksichtigt. Insbesondere bei der gemeinschaftlichen Aufgabenerfüllung können Steuerungsdefizite einen wirksamen Ressourceneinsatz erschweren.“ Man denke an dieser Stelle unter anderem an die Themen Klima- und Energiepolitik, Raumordnung, Bodenschutz, Subventionen und Gesundheit.
Maßnahme 22 oder eine ideale Welt
Zur grundlegenden Neugestaltung der Verhandlungsprozesse zwischen den Gebietskörperschaften schlägt die Initiative – als Maßnahme 22 – vor, auch die Städte und Gemeinden sowie Fachleute einzubinden, wobei Finanz- und Aufgabenverantwortliche gleichberechtigt vertreten sein sollen. Insgesamt soll ein Zielfindungsprozess in den jeweiligen Politikbereichen zu einem gemeinsamen Wirkungsziel samt Indikatoren führen. Bund, Länder, Städte und Gemeinden legen ihre geplanten Maßnahmen vor, die dann wechselseitig abgestimmt werden. Erst danach soll festgelegt werden, wie viele Geld jede Ebene für ihren Beitrag zur Erreichung des Wirkungsziels erhält. Schließlich sollen die Umsetzungsprozesse regelmäßig evaluiert werden. Das klingt freilich nach idealer Welt, einen (Annäherungs)Versuch in der realen Welt ist der Vorschlag jedenfalls wert.
Die Initiative als Werkzeugkasten auch für Länder und Gemeinden
Angesichts der Inter-, Supra- und Transnationalisierung rechtlicher und politischer Entscheidungsprozesse unter Beteiligung zahlreicher staatlicher, halbstaatlicher und privater Akteure steigen die Anforderungen an das Regieren nicht nur für die Bundesebene sondern auch für Länder und Gemeinden. Die Analysen und Vorschläge der Initiative „Bessere Verwaltung“ bieten allen Verantwortlichen Denkanstöße für hoffentlich umfassende Reformen zur nachhaltigen Verhinderung der Selbstverblödung des Staates und zum Wohle Österreichs.
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