Kein Grund zum Feiern...

von Jens Woelk, 16.10.2014

Die Wahlen in Bosnien und Herzegowina bestätigen die Dominanz nationalistischer Parteien. Ein Aufbruch aus dem lähmenden Stillstand ethnischer Segregation ist nicht zu erwarten.

In Bosnien und Herzegowina wurde am Sonntag, 12. Oktober 2014, zum siebenten Mal gewählt. Schon die Wahlbeteiligung war mit lediglich 54% enttäuschend niedrig (2% weniger als 2010). Auch wenn die 3.3 Millionen Wahlberechtigten die reformistischen Oppositionskräfte leicht stärkten, behaupteten sich wieder die ethnisch-nationalistischen Parteien. Dies verspricht langwierige und schwierige Koalitionsverhandlungen; schon nach den letzten Wahlen (2010) wurde nahezu ein Jahr zur Regierungsbildung benötigt.

51 Parteien, 14 Koalitionen und 15 unabhängige Kandidaten bewarben sich u.a. um Sitze im Nationalen Parlament sowie in den beiden Entitätsparlamenten sowie um die Dreier-Präsidentschaft des Staates (ein Bosniak/Moslem, ein Kroate und ein Serbe). Für die Präsidentschaft bewarben sich 10 bosniakische, drei serbische und vier kroatische Kandidaten; es qualifizierten sich Bakir Izetbegovic, für die größte bosniakische Partei SDA, mit 33% der Stimmen; Dragan Covic für den kroatischen Sitz (52%);für den serbischen Sitz lagen Ivanic Mladen (48,40%) und Zeljka Cvijanovic (48,07%) nahezu gleich auf (das offizielle Ergebnis steht noch aus). Im staatlichen Repräsentantenhaus und im Parlament der Föderation erzielte die bosniakische SDA das beste Ergebnis, in der Republika Srpska erneut die Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD). Damit behaupteten sich die bisher stärksten und nationalistisch geprägten Parteien.

Dabei ist Wandel dringend notwendig. Die wirtschaftliche Situation im Land ist katastrophal: die offizielle Arbeitslosenrate liegt bei 44%, die Jungendarbeitslosigkeit sogar darüber. Der Durchschnittslohn beträgt € 415 im Monat und die ohnehin durch Korruption dauergeschwächte Wirtschaft erlitt einen weiteren schweren Rückschlag durch die Mai-Überschwemmungen, die das Land ca. 2 Mrd Euro kosteten, etwa 15% des Bruttosozialprodukts!

Viele Wähler verlangen zwar einerseits nach einer drastischen Änderung der Verhältnisse (dies beweisen die verbreiteten Unruhen im Februar 2014), andererseits werden in der allgemeinen Unsicherheit häufig doch wieder die Parteien gewählt, welche auf Wahlplakaten und in der Politik ethnisch-nationale Gruppeninteressen an die erste Stelle setzen. Interethnische Parteien haben es in einem institutionell nach Gruppen getrennten System ohnehin schwerer.

Die OSZE-Wahlbeobachter bescheinigten einen im Ganzen regulären und demokratischen Wahlablauf; auch die neue 40%-Quote für Frauen auf Listenplätzen wurde respektiert, führte aber nicht zu einem ähnlichen Verhältnis bei den Sitzen. Die Wahlkampffinanzierung wird wegen nicht ausreichender Transparenz kritisiert. Erneut dominierten zudem ethnische Themen und Spaltung zwischen den Gruppen den Wahlkampf. Eine gemeinsame Vision für die Zukunft des Landes fehlt weiter: serbische Politiker der RS rufen weiter zur Auflösung des Staates auf, kroatische Politiker fordern eine dritte, „kroatische“ Entität, während die Bosniaken/Moslems eine Stärkung des Gesamtstaates erreichen wollen.

Nach dem verheerenden Bürgerkrieg vor 19 Jahren (1992-1995, ca. 100.000 Opfer) hatte das Friedensabkommen die Trennung des Landes in zwei föderale Einheiten institutionell verfestigt. Die von bosnischen Serben kontrollierte, einheitsstaatlich verfasste „Republika Srpska“ (RS) steht der kroatisch-bosniakischen „Föderation von Bosnien und Herzegowina“ (FBH) gegenüber, welche föderal aufgebaut ist: In ihren 10 Kantonen haben entweder Kroaten oder Bosniaken (Moslems) die Mehrheit, nur zwei Kantone gelten als „gemischt“. Die vergleichsweise schwachen gesamtstaatlichen Strukturen sind zwar durch die Internationale Gemeinschaft über die Jahre gestärkt worden; die eigentliche Macht liegt allerdings weiter bei den beiden „Entitäten“, in einer Art konföderaler Ko-Existenz in einem „Zwillings-Bundesstaat“ (Graf Vitzthum).

Der „ethnische Föderalismus“ wird durch Mechanismen ausgeglichen, welche die institutionelle Gleichheit der Gruppen in den gemeinsamen Institutionen des Staates garantieren sollen, z.B. Quotensysteme, einer Dreier-Präsidentschaft, ein „Völkerhaus“ im Parlament sowie verschiedene Vetomöglichkeiten zur Verteidigung „vitaler Interessen“ der drei großen Gruppen. Anreize zur Stärkung des Staates durch Zusammenarbeit in den Institutionen fehlen jedoch; die Politiker bleiben Status quo-orientiert, da Änderungen auch ihre Positionen berühren und gefährden würden.

Die durch die notwendige Stabilisierung in der Nachkriegssituation gerechtfertigte, komplexe Staatsorganisation verstößt aber gegen grundlegende Menschenrechte. Bereits 2009 hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg eine wesentliche Verletzung des (passiven) Wahlrechts festgestellt, da aufgrund der verfassungsrechtlich vorgeschriebene Dreier-Zusammensetzung der kollektiven Präsidentschaft des Staates nur Bosniaken, Kroaten und Serben kandidieren können. Der EGMR sieht hierin einen Verstoß gegen den Nichtdiskriminierungsgrundsatz der EMRK und gab den zwei Klägern recht (Sejdic-Finci-Fall, 22.12.2009). Da eine Umsetzung des Urteils die Grundlagen der auf dem internationalen Friedensabkommen von Dayton beruhenden Verfassung berühren würde und die Frage nach dem Verhältnis der Gruppen zum Staat aufwirft, ist eine Verfassungsänderung bisher nicht erfolgt und auch für die nähere Zukunft kaum zu erwarten.

Die europäische Integration Bosniens erfordert sowohl eine Stärkung der gesamtstaatlichen Strukturen (dementsprechend dringt die EU Kommission auf Verfassungsänderungen) als auch eine „Normalisierung“ durch Entspannung der ethnischen Spaltung. Die Wahlergebnisse geben zum Pessimismus Anlass, dass dies in absehbarer Zeit geschehen wird. Bosnien wird daher weiter Schlusslicht im Annäherungsprozess der Balkanstaaten an die EU bleiben.

 

Links:

Central Election Commission Bosnia and Herzegovina [http://www.izbori.ba/files/index.html] (local languages)

OSCE Election Report – BiH, October 2014 [http://www.osce.org/odihr/elections/125488] (English)

Informationen zu Jens Woelk



Jens WoelkAssociate Professor, School of International Studies und Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Trient


jens.woelk@unitn.it

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