Kritische Parteien? LandespolitikerInnen und ihre Einstellungen zur Demokratie
von Katrin Praprotnik, 17.06.2020
Die Politikwissenschaft setzte sich in der Vergangenheit immer wieder mit den Einstellungen der Bevölkerung zur Demokratie auseinander. Kein Wunder, wird doch eine gewisse Zufriedenheit mit der eigenen Demokratie als Voraussetzung für ein stabiles politisches System angesehen. Weit weniger Beachtung fanden hingegen die PolitikerInnen selbst, deren Einstellungen zur Demokratie – und damit die Frage, inwieweit „kritische Parteien“ bestehen.
Österreich bildet dabei keine Ausnahme und insbesondere die Landesebene ist bislang wenig erforscht. Das Austrian Democracy Lab der Universitäten Krems und Graz hat sich deshalb mit dieser Thematik genauer befasst. In einer umfassenden Studie wurden im vergangenen Jahr acht qualitative Interviews mit Landtagsabgeordneten geführt und anschließend eine quantitative online-Umfrage unter allen Landtagsabgeordneten gestartet. Die Ergebnisse zur Einstellung der Abgeordneten zur Demokratie, aber auch zu ihrem politischen Alltag und dem Umgang mit sozialen Medien liegen nun vor. Das Demokratieradar, eine halbjährliche Bevölkerungsumfrage, ermöglicht zudem einen Vergleich mit den Meinungen der BürgerInnen.
Tabelle 1. Bewertung der Demokratie in Österreich und im Bundesland
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„Ganz allgemein, funktioniert die Demokratie in Österreich aus Ihrer Sicht alles in allem ...“ |
„Funktioniert die Demokratie in Ihrem Bundesland aus Ihrer Sicht alles in allem ...“ |
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Abgeordnete |
Bevölkerung |
Abgeordnete |
Bevölkerung |
Sehr gut |
29 |
14 |
37 |
19 |
Eher gut |
67 |
59 |
49 |
57 |
Eher schlecht |
4 |
20 |
11 |
17 |
Sehr schlecht |
0 |
5 |
3 |
5 |
Keine Angabe |
0 |
2 |
0 |
3 |
Anmerkung: Angaben in Prozent pro Spalte; n Abgeordnete = 218; n Bevölkerung = 4.506; Abweichungen von 100 = Rundungsfehler.
Quelle: Perlot et al. (2019); Praprotnik/Perlot (2020).
LandespolitikerInnen als zentrale Akteure des politischen Systems zeigen sich weniger kritisch als die Bevölkerung (Tabelle 1). Auf Bundesebene beurteilen 29 Prozent der Abgeordneten das Funktionieren der Demokratie in Österreich mit sehr gut und 67 Prozent mit eher gut. Seitens der Bevölkerung vergeben nur 14 Prozent ein „sehr gut“ und 59 Prozent ein „eher gut“. Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn die Frage nach dem Funktionieren der Demokratie im eigenen Bundesland betrachtet wird. Hier ist das Verhältnis 37 Prozent (Abgeordnete) zu 19 Prozent (Bevölkerung) in der Kategorie „sehr gut“ und 49 zu 57 Prozent in der Kategorie „eher gut“.
Tabelle 2. Gewünschte Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Bundesländern
„Wie sollte das Verhältnis von Bund und Bundesländern aus Ihrer Sicht in Zukunft geregelt werden?“ |
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Abgeordnete |
Bevölkerung |
Der Bund sollte alle Zuständigkeiten erhalten. |
0 |
7 |
Der Bund sollte mehr Zuständigkeiten erhalten als bisher. |
22 |
23 |
Es sollte so bleiben wie bisher. |
14 |
29 |
Die Bundesländer sollten ehr Zuständigkeiten erhalten als bisher. |
53 |
27 |
Die Bundesländer sollten alle Zuständigkeiten erhalten. |
0 |
3 |
Keine Angabe |
10 |
11 |
Anmerkung: Angaben in Prozent pro Spalte; n Abgeordnete = 214; n Bevölkerung = 4.506; Abweichungen von 100 = Rundungsfehler.
Quelle: Perlot et al. (2019); Praprotnik/Perlot (2020).
Die hohe Zufriedenheit mit der eigenen Demokratie bedeutet allerdings nicht, dass die Abgeordneten keinen Reformbedarf sehen (Tabelle 2). Lediglich 14 Prozent der LandespolitikerInnen geben an, dass das Verhältnis zwischen Bund und Bundesländern so bleiben sollte, wie es ist. Eine Mehrheit unter ihnen wünscht sich mehr Zuständigkeiten für die eigene politische Ebene. In der Bevölkerung iÖsterreichs ist das Bild vergleichsweise geteilt. Sie wünscht sich mehr Zuständigkeiten für den Bund (23 Prozent), die Beibehaltung des Status quo (29 Prozent) beziehungsweise mehr Zuständigkeiten für die Bundesländer (27 Prozent).
Die Einstellungen der LandespolitikerInnen zur Demokratie im Allgemeinen und dem Föderalismus im Besonderen sind dabei stark von der eigenen Rolle im politischen System abhängig. Denn es sind die Abgeordneten der Regierungsparteien, die mit dem Funktionieren der Demokratie deutlich zufriedener sind als die Abgeordneten der Oppositionsparteien. Und auch bei der Frage nach der gewünschten Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Bundesländern sind es insbesondere die Abgeordneten aus den Reihen der Regierungsparteien, die sich mehr Kompetenzen im Land und damit im eigenen Einflussbereich wünschen. Die Schwankungen sind insbesondere bei ÖVP-, FPÖ- und Grün-PolitikerInnen groß, die sich bei einer Regierungsbeteiligung noch stärker für einen Ausbau der Länderkompetenzen aussprechen. Bei SPÖ-PolitikerInnen fallen die Schwankungen geringer aus. Die Fallzahlen sind bei derartigen Unterscheidungen freilich bereits recht gering.
Insgesamt unterscheiden sich die Abgeordneten darin nicht von der Bevölkerung. Gerade nach einer Wahl kann beobachtet werden, dass WählerInnen von WahlgewinnerInnen mit dem Funktionieren der Demokratie zufriedener sind als jene von WahlverliererInnen.
Es bleibt also, dass LandespolitikerInnen mit dem Funktionieren der Demokratie in Bund und Land zufriedener als die Bevölkerung sind – oder, anders ausgedrückt: weniger kritisch. Der Reformbedarf, der seitens der Abgeordneten wahrgenommen wird, bleibt davon allerdings unberührt.
Der vollständige Beitrag kann im Buch „regional.national.föderal. Zur Beziehung Politischer Ebenen in Österreich“ von Andrea T. Hermann, Daniela Ingruber, Flooh Perlot, Katrin Praprotnik und Christina Hainzl (facultas Verlag) nachgelesen werden. Der Sammelband „regional.national.föderal“ behandelt den österreichischen Föderalismus aus unterschiedlichen Perspektiven. Die AutorInnen befassen sich mit der Theorie und Praxis des heimischen Mehrebenensystems, blicken auf die Kultur des Föderalismus, betrachten diesen von Seiten der Bevölkerung sowie von Seiten der PolitikerInnen und vergleichen den Föderalismus in Österreich mit den politischen Systemen in ausgewählten Nachbarstaaten.
Quellen:
Perlot, Flooh/Hermann, Andrea/Praprotnik, Katrin/Ingruber, Daniela/Hainzl, Christina
(2019). Demokratieradar, Welle 4 – Föderalismus und Landtage. Datensatz. Version 1.0. Krems/Graz.
Praprotnik, Katrin/Perlot, Flooh (2020). Befragung Landtagsabgeordnete in Österreich.
Datensatz. Version 1.0. Krems/Graz.
Informationen zu Katrin Praprotnik
Dr. Katrin Praprotnik ist Politikwissenschaftlerin und Projektleiterin des Austrian Democracy Labs an der Donau-Universität Krems. Sie forscht zur Demokratie in Österreich, Politischer Partizipation und Politischen Parteien in Österreich und in vergleichender Perspektive.
katrin.praprotnik@donau-uni.ac.at
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