Neu Regieren: nicht nur eine Frage des Was, sondern auch des Wie
von Wolfgang Gratz, 05.11.2024Als Karl Nehammer den ihm von Bundespräsident Alexander Van der Bellen erteilten Auftrag zur Regierungsbildung annahm, räumte er ein, dass das Wahlergebnis kein Auftrag für ein „Weiter-wie-bisher“ sei. Nun brauche es Veränderungen und Reformen, „um die Herausforderungen der Zukunft bewältigen zu können.“
Gut zu regieren ist nicht nur eine Frage des Was, also welche inhaltlichen Reformen stattfinden, sondern auch des Wie, also mit welchen Verfahren, Prozessen und Formen der Entscheidungsfindung die Regierung arbeitet. Dies sollte nicht mit Hausverstand erfolgen, wie dies etwa bei der Entscheidung für eine Corona-Impfflicht im Rahmen des legendären Aachensee-Treffens zwischen Landeshauptleuten und Regierungsmitgliedern erfolgte. Es sollte mit Sachverstand geschehen. Deshalb sollten politische Entscheidungen keine Hüftschüsse sein sowie nicht bloß auf politischen Überzeugungen beruhen, sondern auch das Ergebnis rationaler Abwägung von Fakten und Wissen, durchaus auch internationaler Beispiele und Erfahrungen, sein. Erforderlich ist ein lernendes Regieren. Dies beinhaltet Verfahren zur Selbstkorrektur und zur kontinuierlichen Weiterentwicklung in den einzelnen Politikfeldern aufgrund der gemachten Erfahrungen. In verbindlichen Prozessen erfolgt eine laufende Überprüfung, Reflexion und eine darauf abgestimmte Festlegung der weiteren Vorgehensweise. Motto: Was wollten wir? Wo stehen wir jetzt? Was sind die lessons learned?
Die Politik selbst vermag dies nur ziemlich eingeschränkt zu leisten. Politiker haben dafür keine Zeit und häufig auch nicht die erforderlichen Kompetenzen. Sie benötigen andere Befähigungen, nämlich in der politischen Auseinandersetzung erfolgreich zu sein. Es sind ureigenste Aufgaben der Verwaltung, der Politik fundierte Entscheidungsgrundlagen, auch für ein lernendes Regieren, zur Verfügung zu stellen sowie als Nahtstelle und Bindeglied zwischen Politik und Wissenschaft zu dienen. Anstelle einer Engführung des operativen Geschäfts der Verwaltung durch im internationalen und EU-Vergleich übergroßen Kabinetten soll die Politik die Verwaltung strategisch orientiert und transparent steuern. Dies erfolgt durch eine Abfolge von 1. politischen Aufträgen für konkrete Vorhaben oder auch weiterreichende Entwicklungsaufgaben, 2. konzeptiven Ausarbeitungen der Verwaltung und 3. anschließenden politischen Entscheidungen darüber. Darin besteht die zentrale Aufgabe von Kabinetten in ihrer Unterstützung der Ministerinnen und Minister. Um sie zu bewältigen, benötigt man nicht nur fachliche, sondern vor allem auch Managementkompetenzen. Die Verwaltung betreibt in diesem Modell ihr Tagesgeschäft weitgehend unbehelligt von Kabinetten.
Ganz allgemein sind Organisationen dann leistungsfähig und resilient, wenn sie die in ihnen vorhandenen Ressourcen gut nutzen, verknüpfen und zusätzliche Ressourcen erschließen. Diese erfordert beim Regieren nicht nur, dass die Mitarbeiter in den Ministerien eine Chance haben, ihre Fähigkeiten zu entfalten und diese von der Politik genützt werden, sondern auch, dass Personalentscheidungen fair und sachlich, also „anhand von Leistungen und Befähigungen erfolgen. Trotz mehr als 40 Novellierungen des Ausschreibungsgesetzes läuft die Praxis solchen Grundsätzen nach wie vor nur allzu oft zuwider. Diese ruft nach einer tief reichenden Veränderung, vor allem der Einbeziehung verwaltungsexterner Experten, die (durch das Los) für die jeweiligen Bestellungsverfahren ausgewählt werden. Hierzu und darüber hinaus hat die Initiative Bessere Verwaltung insgesamt 50 konkrete Vorschläge gemacht.
Wolfgang Schäuble schrieb in seinen Memoiren: „Ein Politiker muss zuversichtlich sein, sonst würde er von der Unlösbarkeit dessen, was auf uns einstürzt, und von der Unvorhersehbarkeit erdrückt.“ Dies bedeutet einerseits, dass wir der Politik in ihrer Überforderung möglicherweise etwas kritischer gegenüberstehen, als es diese verdient, andererseits braucht die Politik nicht nur Zuversicht, sondern auch alle Unterstützung, die sie sich organisieren kann. Dies ist vor allem eine loyale, befähigte, wendige und leistungsstarke Verwaltung an ihrer Seite.
Informationen zu Wolfgang Gratz
a.o. Univ.-Prof. Dr. Mag. Wolfgang Gratz ist Verwaltungsexperte, Organisationssoziologe und Proponent der „Initiative Bessere Verwaltung“.
gratz.partner@aon.at
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