Österreich: Echter Föderalismus geht anders
von Laurenz Ennser-Jedenastik, 15.11.2016Michael Schickhofer, steirischer Landeshauptmannstellvertreter und oberster Sozialdemokrat in der Grünen Mark, schlägt vor, alle Gesetzgebungskompetenz beim Bund zu konzentrieren. Das ist sicherlich einer der mutigeren Vorschläge – zumal von einem Landespolitiker – in der Diskussion über eine Bundesstaatsreform, die ja vielerorts als notwendig erachtet wird.
Tatsächlich sind die österreichischen Landtage nur in wenigen Politikbereichen Gesetzgeber. Schwache Landtage bedeuten aber nicht gleich schwache Länder. Ein Wesensmerkmal des österreichischen Bundesstaates ist nämlich, dass er im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung den Landeshauptleuten und den ihnen unterstellten Verwaltungsapparaten eine wichtige Rolle bei der Vollziehung von Bundesgesetzen zuweist. Daraus – und natürlich aus der starken Stellung der Landesorganisationen in den politischen Parteien – erklärt sich die politische Bedeutung der Länder in Österreich.
Geringe Bedeutung der Landesgesetzgeber
Wenn wir uns etwa die Sitzungstätigkeit im Jahr 2015 anschauen, so hielten die Landtage im Mittel 13 Plenar-Sitzungstage ab – also etwa einen Tag pro Kalendermonat. Der Nationalrat hingegen kam im selben Zeitraum auf 31 Tage. Natürlich erschöpft sich die Abgeordnetentätigkeit nicht in Plenarsitzungen – Ausschüsse, Wahlkreisarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und mehr sind ebenso zentral. Dennoch zeigt diese simple Aufstellung deutlich die geringere Bedeutung der Landesgesetzgeber im Vergleich mit dem Bund.
Auch im internationalen Vergleich kann man den Bundesstaat Österreich nicht als besonders stark dezentralisiert bezeichnen. Die zweite Grafik zeigt anhand von OECD-Daten, welcher Anteil an Einnahmen und Ausgaben in einem Staat durch die Zentralregierung (in Österreich die Bundesregierung) getätigt wird.
In "echten" Föderalstaaten wie Kanada, der Schweiz, den Vereinigten Staaten oder Deutschland läuft ein weitaus geringerer Teil an Steuergeldern durch die Hände der nationalen Regierung. In Österreich tätigte der Bund 2014 rund 90 Prozent der Einnahmen und 70 Prozent der Ausgaben. Damit unterscheidet sich Österreich in punkto fiskalischer Dezentralisierung kaum von Einheitsstaaten wie Frankreich oder Großbritannien.
Eine schlampige Lösung
So betrachtet ist der Vorschlag, alle Gesetzgebung beim Bund zu konzentrieren, nur konsequent. Aber natürlich könnte man auch genau den entgegengesetzten Weg gehen, und den Ländern jene Gesetzgebungskompetenzen – inklusive Steuerhoheit – zugestehen, die einem formal föderalen System angemessen sind. Der österreichische Zwischenweg ist eine schlampige Lösung, in der die legislativen Elemente (Landtage, Bundesrat) schwach sind, die Exekutive (Landesregierungen, Landeshauptleutekonferenz) aber stark ist.
Erstveröffentlichung in derStandard.at, Dienstag, 1. November 2016
Informationen zu Laurenz Ennser-Jedenastik
Laurenz Ennser-Jedenastik ist Universitätsassistent am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien. Er lehrt und forscht dort zu Parteien, Wahlen, Bürokratie, Regulierung und Sozialpolitik.
laurenz.ennser@univie.ac.at
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