Österreich 22 – Zukunftsdiskussion als offener Prozess

von Herwig Hösele, 25.10.2016

Am 20. und 21. Oktober 2016 haben sich über Einladung des Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz, des steirischen Landeshauptmannes  Hermann Schützenhöfer, achtzig Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft, Kunst, Kultur und Medien in Graz  zum Symposium „Österreich 22“ zusammengefunden, um Überlegungen zur Zukunft der Republik anzustellen. Unter den prominenten Teilnehmern waren u.a. Hannes Androsch, Barbara Frischmuth, Josef Penninger und  Claus Raidl. Auch der Chef des Instituts für Föderalismus, Peter Bussjäger, war in der illustren Diskutantenschar. Impulsreferate hielten der Vorsitzende des österreichischen Zukunftsfonds, Kurt Scholz (Österreichs Identität), der Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts, Christoph Badelt (Dreieck Wirtschaft, Ökologie und Soziales), der Vorsitzende des österreichischen Integrationsrates, Heinz Faßmann (Integration & Migration), der Vorsitzende des österreichischen Wissenschaftsrates, Antonio Loprieno (Bildung, Wissenschaft und Forschung), die Rektorin der Kunstuniversität Graz, Elisabeth Freismuth (Kunst & Kultur) und der langjährige deutsche Verfassungsrichter Udo Di Fabio ( Wertefundement Österreichs). Ziel war eine Standortbestimmung Österreichs und das Aufzeigen von Zukunftsperspektiven. „Österreich 22“ soll zweierlei darlegen: Einerseits, was kann, soll, muss in den nächsten fünf, sechs Jahren bis 2022 getan werden, anderseits geht es insbesondere um das Bild, das wir von Österreich bis zum Ende dieses Jahrhunderts haben wollen, welche Ziele und Positionierung erreicht werden sollen.

Denn zunehmend drängender stellt sich die Frage, welche Rolle Österreich in den nächsten Jahrzehnten spielen soll – in Europa und in der Welt, in Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Gesellschaft. Was sind die Werte einer zunehmend diverser werdenden Gesellschaft? Woher kommen wir, wohin wollen wir gehen? Welche Gefahren, Risiken und Probleme gibt es, welche Chancen können ergriffen werden?

Zum Abschluss des Symposiums wurde aufbauend auf den Referaten und Diskussionsbeiträgen ein Thesenpapier erstellt, das folgende Ausgangssituation skizziert:

"Österreich ist ein Land, das stolz auf und dankbar für sein großes und reiches historisches, jahrhundertelang gemehrtes Erbe in allen Bereichen sein kann. 1918 ging aus der mitteleuropäischen Großmacht Österreich-Ungarn unter anderen unsere Republik als kleiner Staat hervor - ein Staat, an dessen Lebensfähigkeit viele nicht glaubten und der 1938 auch zugrunde ging. Aber auch in dieser besonders schwierigen und leidvollen Phase unserer Geschichte blieb Österreich eine Großmacht der Kultur und des Geistes.

1945 erstand Österreich wieder – und bei aller Kritik im Detail ist die mehr als 70-jährige Entwicklung der Zweiten Republik eine Erfolgsstory. Heute sind wir einer der wohlhabendsten Staaten der Welt mit hohen sozialen Standards, intakter Umwelt, bester Lebensqualität, international erfolgreichen Wissenschaftlern und Unternehmen und einer global geschätzten Kulturszene. Der EU-Beitritt unseres Landes vor 20 Jahren hat einen neuerlichen Innovationsschub gebracht. Seit einigen Jahren aber macht sich verstärkt Unbehagen breit. Es besteht die Sorge, dass das internationale Erfolgsmodell Österreich ins Rutschen gerät, wenn nicht jetzt entschieden gehandelt wird. Wirtschaftliche und auch ökologische Indikatoren zeigen die Gefahr eines Rückfalls auf. Wir können und dürfen uns aber Stillstand und Rückfall nicht leisten, Blockade und Trägheit müssen in allen Bereichen überwunden werden. Es gilt, gezielt und glaubwürdig Maßnahmen dafür zu setzen, die BürgeriInnen und Bürger mit ihren Wünschen, Sorgen, Ängsten und Hoffnungen ernstnehmen und das notwendige Vertrauen in die Gesellschaft und die Institutionen stärkt."

Davon ausgehend würde folgende Zielvorstellung für Österreich formuliert: "Die Menschen, die in Österreich leben, sollen unser Land als attraktiven Wirtschafts- und Lebensstandort empfinden  - dynamisch,  global konkurrenzfähig, mit hohen sozialen und ökologischen Standards, mit intakter Umwelt und Natur, mit Rahmenbedingungen, die das wertvolle und unverzichtbare zivilgesellschaftliche Engagement der BürgerInnen , Unternehmensgeist und Eigeninitiative, Kreativität und Innovation, aber auch das Miteinander, den sozialen Zusammenhalt und Solidarität fördern.

Wir wollen Österreich als eine offene, geschichtsbewusste und zukunftsorientierte Gesellschaft und  eine liberale und vitale Demokratie sehen und gemeinsam gestalten , die auf dem Fundament der Errungenschaften der Aufklärung  offensiv und entschieden gegen alle autoritären und populistischen Versuchungen und für Toleranz und Respekt, die unantastbare Menschenwürde und die universellen Menschenrechte mit Gleichberechtigung aller, Religions- und Meinungsfreiheit und für den Rechtsstaat eintritt.

Wir wollen Österreich als einen  Staat im Herzen Europas, der ohne Selbstüberschätzung, aber mit Selbstbewusstsein seine geopolitisch und historisch begründete Rolle als  Ort der Begegnung, seine mittel(zentral)europäische Verantwortung wahrnimmt. In ganz besonderem Maße gilt das für die Pflege und Intensivierung der Beziehungen zur Nachbarschaft.

Wir bekennen uns zur Nachhaltigkeit in allen Bereichen - in der Ökologie und im Sozialbereich genauso wie in der Ökonomie und im privaten und öffentlichen Finanzsektor. In diesem Sinne sollen die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele (Substainable Development Goals, SDGs) der UNO-Agenda 2030 in Österreich wirksam implementiert werden.

Österreich ist eine Kultur- und Wissensnation. Der  reiche  Vielfalt in Kunst,  Kultur und die in allen Bereichen so aktive kreative Szene gibt Österreich ein weltweit anerkanntes Profil, das weiter gestärkt und geschärft werden muss. 

Als rohstoffarme Volkswirtschaft setzt Österreich auf den entscheidenden Wettbewerbsvorteil: den Reichtum und die Vielfalt an Talenten – und gibt daher Bildung, Forschung und Innovation, beginnend mit der Frühkindpädagogik absoluten Vorrang.

Die Erhöhung der F&E-Quote und die bessere Förderung der Grundlagenforschung sind unabdingbar. Der Zweiprozentpfad für den tertiären Bildungssektor ist konsequent weiter zu beschreiten.Vielfalt wird als Chance wahrgenommen und zu gestalten sein. Österreich wurde und ist - in angemessenen Dimensionen - ein Einwanderungsland. Die bestmögliche Integration von MigrantInnen ist eine vordringliche Aufgabe.

Es muss ehrgeiziges Ziel sein, durch mutige Strukturreformen eine international vorbildhafte  Staatsorganisation und Verwaltung Europas zu erreichen und wichtige Schritte zur Entbürokratisierung und Senkung der Steuer- und Abgabenquote und zugleich zu einer Änderung der Steuerstruktur zu  setzen. Ein tatsächlich gelebtes Subsidiaritätsprinzip und ein moderner Föderalismus mit wirksamen Anreizmechanismen sind unserer Überzeugung nach das bürgernahe und demokratische Gestaltungsmodell für Österreich und Europa, das die Einheit in der Vielfalt abbildet."

Neben den notwendigen, rasch zu treffenden Initiativen geht es aber auch um langfristige Perspektiven und Visionen, die es im Sinne der offenen Zukunft ständig in einem trial & error- Prozess weiterzuentwickeln gilt.

Es war allen Teilnehmern bewusst, dass bei den kurz- und mittelfristigen Maßnahmen kein Erkenntnis- und Wissens-, aber ein Handlungs- und Umsetzungsdefizit besteht und dass es überdies unabdingbar ist, einen permanenten Diskurs in der  Öffentlichkeit zu führen, für die Qualitätsmedien von großer Relevanz sind. Daher heißt es abschließend im Thesenpapier, das hauptsächlich von den drei Moderatoren Herwig Hösele, Klaus Poier und Manfred Prisching erarbeitet wurde:

"Die Debatte über Zukunftsfragen, was als sinnvoll oder riskant, was als Chance oder Bedrohung gesehen wird, wird vor allem auch im medial vermittelten öffentlichen Diskurs entschieden. Die Medien spielen als Angelpunkt der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung dabei eine entscheidende Rolle. Anders formuliert: Die Qualität der Öffentlichkeit und die Qualität der öffentlichen Debatte hängen unmittelbar auch mit der Qualität der Medien zusammen. Es wird also auch darum gehen, dass diese zentrale Infrastruktur der öffentlichen Debatte und damit der Demokratie auch in Zeiten von Digitalisierung als Basis vernunftgeleiteter öffentlicher Auseinandersetzung nicht nur erhalten bleibt, sondern ausgebaut wird.

Was in den nächsten Jahren umsetzbar ist, ist so rasch wie möglich zu realisieren. Es muss daher, abgeleitet von den Grundsätzen und den vorliegenden Vorschlägen ein konkreter Umsetzungskatalog erstellt  und realisiert werden. Diese Umsetzung muss begleitet werden, über ihre Fortschritte ist zu berichten. Darüber hinaus muss das Entwerfen von Zukunftsszenarien ein permanenter offener Prozess sein.

 „Österreich 22“ war daher kein einmalig stattfindendes Symposium, sondern ein Impuls für ein Netzwerk bzw. eine Lobby für die Zukunft Österreichs. Es sollen und müssen weitere Gespräche sowie Tatkraft folgen, um die Nachhaltigkeit der Ideen und Initiativen zu gewährleisten und den Prozess zur Gestaltung unserer Zukunft weiterzuführen. Dies ist nur in ständigem öffentlichen Dialog an möglichst vielen Orten und  unter Einbeziehung und  mit  Beteiligung möglichst vieler BürgerInnen möglich. Darum sollten alle, denen Österreichs Zukunft nicht nur Lippenbekenntnis, sondern echtes Anliegen ist, bemüht sein! "

Informationen zu Herwig Hösele



Herwig HöseleProfessor Dr. Herwig Hösele ist seit Jahrzehnten publizistisch und politisch tätig. Seit seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik 2005 engagierte er sich als Koordinator in der Wissenschaftsabteilung des Landes Steiermark und als Sekretär der 2008 initiierten Demokratiereform "Initiative Mehrheitswahlrecht". Seit 1. März 2011 ist er Generalsekretär des Zukunftsfonds der Republik Österreich, seit 2014 Stiftungsrat im ORF.

herwig.hoesele@zukunftsfonds-austria.at

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