Österreichische Nationalratswahlen und die 2. Freiburger Föderalismustage
von Andreas Pehr, 10.09.2024Am 2.September kurz nach Mittag war es soweit: man startete in Fribourg (CH) in die zweite Auflage der Föderalismus-Tage. Kompetenz- und Aufgabenaufteilung, Subsidiarität und fiskalische Äquivalenz sowie Gesundheitswesen, soziale Sicherheit und Digitalisierung wurden mit und von Vertretern und Vertreterinnen aus Wissenschaft, Politik, staatlichen Behörden und Zivilgesellschaft intensiv diskutiert.
Doch was hatte dies mit den Nationalratswahlen in Österreich zu tun?
Erstens wurden speziell im Panel zum Fiskalföderalismus in Fribourg Themen besprochen, welche auch im österreichischen Wahlkampf präsent sind – wie in etwa Vermögens- und Erbschaftssteuer oder die Steuerautonomie. Aber auch im Bereich Gesundheitswesen waren die Diskussionsgegenstände sehr bekannt – sowie etwa der Engpass beim Gesundheitspersonal. Dazu später mehr.
Zweitens würden Föderalismus-Tage in Österreich vermutlich besonders vor Wahlen guttun, um die oft verschiedentlichen Föderalismuswahrnehmungen in Österreich zu einem Gesamtbild zusammen zu tragen und damit eine gemeinsame, intersubjektive Ausgangs- und Grundlage für öffentliche Diskussionen zu schaffen. Diese wären im Idealfall fördernd für das Verständnis zu Chancen und Probleme im österreichischen Bundesstaat. Auch wenn es Wunschdenken ist: vielleicht wären sie gar ein Anlass und eine positive Basis für politische Wahlprogrammpunkte und/oder für nachfolgende Koalitionsvereinbarungen.
Föderalismus ist an sich keine starre Struktur, sondern im Gegenteil dynamisch und aufmerksam gegenüber Entwicklungen, neuen Bedürfnissen und Notwendigkeiten. So wurde an den Föderalismus-Tagen in Fribourg je nach Thema und Problemstellung von Inputgebenden offen für Zentralisierung oder Dezentralisierung plädiert. Oder auch Lösungen über bessere Kooperation und Koordination aufgezeigt. Denn Föderalismus bedeutet nicht, dass der Bund so viel wie möglich an Kompetenzen an die Länder übertragen soll oder umgekehrt die Länder und Gemeinden zu bloßen dezentralen Verwaltungseinheiten werden. Vielmehr geht es darum den Politgegenstand an der Ebene zu verorten, die es am besten lösen kann. D.h. im Föderalismus kann und soll beides geschehen – De- und Zentralisierung je nach Aufgabenstellung. International gesehen ist in den klassischen Föderalstaaten (USA, Deutschland, Kanada, Australien, Schweiz) eine Zunahme des sogenannten Vollzugsföderalismus erkennbar (Dardanelli et al. 2019). In diesem Zusammenhang beobachtet man in der Schweiz eine sukzessive Zentralisierung im Sinne von Gesetzen, die vermehrt zentral beschlossen (Bundesgesetze), folglich aber dezentral umgesetzt werden.
Wahlkampfthemen in Fribourg
Kommen wir zu ersterem Punkt zurück: Themen. Im Gegensatz zu den österreichischen Bundesländern besitzen die Schweizer Kantone Steuerautonomie. Und so sind u.a. auch die im österreichischen Wahlkampf diskutierten Vermögens- und Erbschaftssteuern, welche in Österreich 1993 bzw. 2008 abgeschafft wurden, in der Schweiz kantonale Steuern. Ziel der Steuerautonomie in der Schweiz ist die Erfüllung der vom Bundesverfassungsgericht bezeichneten „staatspolitischen Maxime“ des Subsidiaritätsprinzips und der fiskalischen Äquivalenz.
Fiskalische Äquivalenz bedeutet, dass die Nutznießer*innen öffentlicher Leistungen auch jene sein sollen, die für die Bereitstellung dieser Leistungen zahlen. Dazu gehört das Kongruenzprinzip: Die zahlenden Nutznießer*innen entscheiden selbst über öffentliche Leistungen. Das würde für Österreich bedeuten die Eigenverantwortung der Länder und Gemeinden zu stärken. Eigene Steuerkompetenzen und eine Verringerung der Abhängigkeit von Zuweisungen aus dem Finanzausgleich würden eine effizientere Haushaltsführung fördern sowie mehr Nachhaltigkeit in der öffentlichen Schuldenpolitik schaffen.
Die Steuerautonomie begünstigt auch föderalen Wettbewerb. Ein Steuerwettbewerb kann zu zweierlei Ergebnissen führen. Einerseits kann er den Staat daran hindern sich über seine optimale Größe aufzublähen, anderseits kann er aber auch verhindern, dass der Staat diese optimale Größe erreicht. In einem solchen Steuerwettbewerb sind große und periphere Gebietskörperschaften sowie immobile (ärmere) Steuerzahlende tendenziell benachteiligt. Erstere haben aufgrund ihres Haushalts oft wenig finanziellen Spielraum, um steuerlich kompetitiv zu sein und letztere können es sich meist nicht leisten am „foot voting“ teilzunehmen. Doch selbige Benachteiligung ergibt sich zu einem gewissen Grad auch bei einem gleichen Steuersatz für alle. Denn periphere Gebietskörperschaften können durch ihre geografische Lage nicht die Infrastruktur und Anbindungen für Firmen bieten, um attraktiv genug zu sein. Resultat sind geringe Kommunalsteuereinnahmen. In Bezug auf Erbschaftssteuern scheint es in der Schweiz trotz Steuerwettbewerbs zu keinen signifikanten Standortverschiebungen zu kommen, obwohl dies bei Volksabstimmungen zur Abschaffung einer solchen regelmäßig argumentiert wird (Brülhart/Parchet 2014). Steuerautonomie und -wettbewerb schaffen aber nicht einen Finanzausgleich ab, der in allen Staaten nötig ist um Disparitäten auszugleichen.
Im Bezug auf das Gesundheitswesen war an der Tagung u.a. die fragmentierte Spitalsplanung in der Schweiz eindrücklich. In der Schweiz führe geringe Absprache und Koordination in teils nicht bedarfsgerechte Investitionen, zusätzlichen Personalmangel und möglicherweise zu Qualitätsgefährdung bei operativen Eingriffen durch Nicht-Erreichung von Mindestfallzahlen in den Krankenhäusern. Denn oft wollen kantonale Spitäler alles anbieten können, was sich aber in der Nachhaltigkeit suboptimal auswirken kann. Allerdings funktionieren die kantonale Kooperation und Koordination im hochmedizinischen Bereich im Vergleich dazu besser.
Was ist also mitzunehmen aus den 2.Freiburger Föderalismustagen für die österreichische Nationalratswahl? Die Antwort ist: Es braucht eine vertiefte politische Diskussion mit vertiefter föderaler Einbindung in Österreich. Gesundheitswesen, Finanzen, Kinderbetreuung und Klimawandel sind Themen, die den Kern des österreichischen Föderalismus berühren und ausmachen. Dementsprechend muss in der Gesellschaft debattiert werden. Ein solcher gesellschaftlicher Gedanken- und Prioritätenaustausch ergibt sich in einer so großen Breite vor allem anlässlich von Nationalratswahlen.
Dardanelli, Paolo, John Kincaid, Alan Fenna, André Kaiser, André Lecours, Ajay Kumar Singh, Sean Mueller und Stephan Vogel. 2019. De/Centralisation Dataset 1790-2010. Colchester, Essex: UK Data Service.10.5255/UKDA-SN-853510.
Brülhart, M. & Parchet, R. (2014) «Alleged Tax Competition : The Mysterious Death of Bequest Taxes in Switzerland», Journal of Public Economics, 111: 63-78.
Informationen zu Andreas Pehr
Andreas Pehr ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Föderalismus in Innsbruck, Projektleiter an der Universität Innsbruck und PhD-Student an der EURAC Bozen/Bolzano. Er beschäftigt sich primär mit der quantitativen Föderalismusforschung und lehrt unter anderem zum politischen System Österreichs.
Andreas.Pehr@eurac.edu
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