Rechtsfragen des grenzüberschreitenden Katastrophenmanagements am Beispiel Tirol – Südtirol

von Peter Bußjäger, 02.01.2019

Naturgefahren machen vor Staats- und Landesgrenzen nicht halt. Gerade der Katastrophenfall erfordert rasches und zielgerichtetes Handeln, was vor allem in den vergleichsweise kleinräumigen Territorialstrukturen der Alpenregionen Probleme bereitet. Die Europaregion Tirol – Südtirol – Trentino ist ein geradezu exemplarischer Fall für die Notwendigkeit grenzüberschreitenden Handelns im Katastrophenfall. In der Praxis herrscht Pragmatismus der beteiligten Akteure vor, der allerdings nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass die bestehenden Rechtsprobleme im Ernstfall massive Schwierigkeiten nach sich ziehen können. Im vorliegenden Beitrag werden die rechtlichen Grundlagen überblicksartig dargestellt, Potenziale und Fallstricke ermittelt sowie Handlungsempfehlungen abgegeben.

1. Rechtliche Grundlagen

Aus kompetenzrechtlicher Sicht kann mit Blick auf das Mehrebenensystem und die Europäische Union zunächst hervorgehoben werden, dass Katastrophenmanagement im Wesentlichen eine Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist. Zwar verfügt die Europäische Union über eine sogenannte unterstützende Zuständigkeit, eine eigenständige Katastrophenschutzpolitik ist allerdings ausgeschlossen.

Auf völkerrechtlicher Ebene ist Katastrophenmanagement hauptsächlich durch bilaterale Verträge geregelt. Österreich hat mit einigen Staaten Staatsverträge über die gegenseitige Hilfeleistung in Katastrophenfällen abgeschlossen, Italien zählt jedoch nicht zu diesem Kreis. Zudem gibt es noch das Madrider Abkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften, das ein Rahmenabkommen über die Erleichterung grenzüberschreitender Aktivitäten darstellt, sowie ein multilaterales Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Vorhersage, Verhütung und Milderung von Natur- und technologischen Katastrophen. Österreich und Italien sind an beiden Abkommen beteiligt.

Die nationalen Kompetenzrahmen unterscheiden sich insofern, als in Österreich zwischen der Katastrophenprävention und der Katastrophenbekämpfung zu unterscheiden ist. Für die Regelung ersterer ist jener Gesetzgeber zuständig, der auch die betreffende Materie regelt. Hier besteht ein deutliches Übergewicht des Bundes. Demgegenüber fällt die Katastrophenbekämpfung (Katastrophenhilfe) gemäß Art. 15 Abs. 1 B-VG in die Allgemeinzuständigkeit der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung.

In Italien ist zwar der Zivilschutz im Katalog der konkurrierenden Befugnisse des Art. 117 Abs. 3 der italienischen Verfassung aufgelistet, allerdings ist diese Bestimmung nicht maßgebend, da die Provinz Bozen auf der Basis des Autonomiestatuts über die primäre Gesetzgebungsbefugnis auf dem Sachgebiet der „Maßnahmen zur Katastrophenvorbeugung und -soforthilfe“ verfügt. Das staatliche Zivilschutzgesetz ist immer dann anzuwenden, wenn auftretende Schadens- oder Gefahrensituationen wegen ihrer Art und ihres Ausmaßes nicht von der Provinz zu bewältigen sind.

Aus einem unmittelbaren Vergleich der katastrophenrelevanten Rechtsvorschriften wird ersichtlich, dass das einschlägige italienische Recht weniger stark ausdifferenziert und infolgedessen – sowohl auf zentralstaatlicher als auch auf Landesebene – weniger stark zersplittert ist.

2. Potenziale und Fallstricke

Die Kooperation von Einsatzkräften im einzelnen Katastrophenfall ist auf Basis freiwilliger Zusammenarbeit derzeit nicht nur rechtlich grundsätzlich möglich, sondern wird auch –  auf informalem Weg – praktiziert und könnte beispielsweise in Form einer gemeinsamen grenzüberschreitenden Strategie intensiviert werden. Allerdings sollten die Rechtsprobleme der derzeitigen informalen Zusammenarbeit nicht unterschätzt werden.

Die Probleme beginnen bereits dann, wenn Organe angewiesen werden, die Grenzen für einen Einsatz im Nachbarland zu überschreiten. Die einschlägigen Rechtsvorschriften des Tiroler Katastrophenmanagementgesetz sehen ein solches Vorgehen ebenso wenig vor wie das Landes-Feuerwehrgesetz. Das Gleiche gilt für das Südtiroler Gesetz über die Ordnung der Feuerwehr- und Zivilschutzdienste. Allerdings enthält auf italienischer Seite Art. 29 des Zivilschutzgesetzbuches Regelungen für die grenzüberschreitende Hilfe in Katastrophenfällen, die in Österreich fehlen.

Daraus ist nun zwar nicht abzuleiten, dass grenzüberschreitende Hilfeleistung in Katastrophenfällen unzulässig wäre, aber es können sich in weiterer Konsequenz Probleme ergeben, wenn nicht klar ist, ob das Verhalten der hilfeleistenden Organe dem ersuchenden Rechtsträger zuzurechnen ist und wer rechtlich für das Verhalten dieser Organe haftet. Ebenso wären arbeits- und sozialversicherungsrechliche Aspekte zu beachten.

Ein Einsatz des EVTZ Europaregion Tirol – Südtirol – Trentino wäre nur in beschränktem Rahmen möglich. Die Rolle des EVTZ könnte allenfalls darin bestehen, einzelne Fragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Katastrophenschutz zu behandeln und einer Lösung zuzuführen, wobei er als Schnittstelle in der Koordination zwischen Tirol, Südtirol und dem Trentino fungieren müsste, da eine auf Tirol und Südtirol beschränkte Koordination mit dem Statut nicht vereinbar wäre.

3. Strategische Vorschläge

Es bieten sich mehrere Möglichkeiten an, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Bereich des Katastrophenmanagements auf sichere rechtliche Grundlagen zu stellen. Eine wäre die Erarbeitung eines Katastrophenhilfeabkommens zwischen Österreich und Italien. Diese Variante hätte den Vorteil, dass sowohl jene Aspekte geregelt werden könnten, die in den beteiligten Staaten Angelegenheit der Bundes- bzw. staatlichen Ebene sind, als auch jene, die in die Zuständigkeit des Landes bzw. der autonomen Provinzen fallen.

Alternativ zu einem derartigen auf nationaler Ebene zu schließenden Staatsvertrag wäre ein in der österreichischen Verfassungsterminologie so bezeichneter „Länderstaatsvertrag“ möglich. Sowohl Tirol als auch die Provinz Südtirol verfügen über die Kompetenz ein völkerrechtlich bindendes Abkommen zu schließen.

Als dritte Möglichkeit würde sich die Änderung bestehender Rechtsgrundlagen anbieten. Dies insofern, als im Tiroler Katastrophenmanagementgesetz wie auch dem Südtiroler Gesetz über die Ordnung der Feuerwehr- und Zivilschutzdienste explizit zu erwähnen wäre, dass Organe des Katastrophenschutzes über Ersuchen auch grenzüberschreitend tätig sein können.

Unseres Erachtens ist zu bezweifeln, dass Regelungen auf Staatsvertragsebene den für die jeweiligen Situationen angepassten Rahmen liefern können. Aus diesem Grund wäre eine abgestimmte Vorgangsweise der Partner Tirol und Südtirol, unter anderem in Form von Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Katastrophenmanagements, die auch den grenzüberschreitenden Einsatz ermöglichen, zu präferieren.

Informationen zu Peter Bußjäger



Peter BußjägerUniv.-Prof. Dr. Peter Bußjäger ist Direktor des Institutes für Föderalismus und Professor am Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre der Universität Innsbruck.




peter.bussjaeger@foederalismus.at

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