Schuldenbremsen in den Schweizer Kantonen - harte und weiche Faktoren
von Nadia Yerly, 22.09.2015Seit den 1980er-Jahren haben die meisten Schweizer Kantone Regelungen zur Gewährleistung der Haushaltsdisziplin mittels Kontrolle des Ausgabenverhaltens eingeführt. Auf Bundesebene wurde im Jahr 2001 die Schuldenbremse eingeführt. Diese ist eine Ausgabenregel und hat die Stabilisierung der Bundesschulden zum Ziel: über einen Konjunkturzyklus hinweg dürfen die Ausgaben nicht grösser sein als die Einnahmen. Die Schuldenbremse des Bundes stellt in dieser Form kein geeignetes Vorbild für die Kantone dar, vor allem weil die kantonalen Haushalte zu klein sind, um eine Glättung von Konjunktur- und Wachstumsschwankungen bewirken zu können.
Auf ihrer Stufe haben die Schweizer Kantone sogenannte Ausgaben-, Defizit- oder Schuldenbremsen eingeführt, meistens bereits in der Verfassung. Jeder Kanton verfügt über seine eigenen Finanzregeln. Derzeit hat nur einer der sechsundzwanzig Kantone keine Haushaltsregel verankert (Appenzell Innerrhoden). Die Institutionalisierung der Haushaltspolitik auf der Verfassungsebene (sowie für viele zusätzlich auf der Gesetzesebene) wurde von der kantonalen Bevölkerung verabschiedet. Diese rechtlichen Grundlagen sind ein Garant für eine solide Finanzgebarung des jeweiligen Kantons auf lange Sicht, was die kantonale Finanzautonomie sicherstellt. Weiters führt der Schweizer Föderalismus dazu, dass die Kantone ihre Haushaltspolitik sowie ihre Finanzlage untereinander vergleichen und die beste, ihrem Umfeld angepasste Lösung finden. Dieser Effekt lässt sich „innovativer Föderalismus" nennen. In diesem Kontext erscheint es sinnvoll, einen Benchmark zu definieren, um zwischen harten und weichen kantonalen Haushaltsregeln unterscheiden zu können.
Die Haushaltsregeln lassen sich nicht auf eine einfache Ausgleichsregel beschränken. Eine gute Vorgabe umfasst wichtige Bestimmungen, die einer Logik folgen, welche volkswirtschaftlich und buchhalterisch fundiert ist. Die revidierte „goldene Regel" der öffentlichen Finanzen bildet die Grundbasis für die Bestimmung der nachfolgend beschriebenen sechs grundsätzlichen Kriterien der Einstufung von Haushaltsregeln.
Kriterium 1: Stufe in der Normenhierarchie (Verfassung und Gesetz)
Die strengstmögliche Vorgabe ist die Verankerung der Regel in der Verfassung. Diese Vorgabe kann mit einer Verankerung auf gesetzlicher Ebene gekoppelt werden. Falls die Regel lediglich in einem Gesetz festgeschrieben ist, hängt die Härte davon ab, ob eine Änderung des betreffenden Gesetzes obligatorisch oder fakultativ von der Bevölkerung verabschiedet werden muss (obligatorisches oder fakultatives Referendum).
Kriterium 2: Stufe im Haushaltsprozess (Haushalt und Rechnung)
Am stärksten ist eine Ausgleichsregel, welche sich sowohl auf den Haushalt als auch auf die Rechnung bezieht.
Kriterium 3: Zeitliche Vorgabe
Sehr strikt ist die Regel dann, wenn sie einen sofortigen Ausgleich verlangt. Diese Regel lässt aber keinen Zeitraum für die Berücksichtigung des Konjunkturzyklus zu. Wenn ein solcher Zeitraum festgelegt wird, muss dieser aber klar definiert werden: Eine Zeitvorgabe mit Begriffen wie „mittelfristig" oder „auf die Dauer" öffnet die Tür für Interpretationsmöglichkeiten und schwächt die Regel ab.
Kriterium 4: Art der Ausgeglichenheit (mit oder ohne Einbezug der Investitionen)
Die Regel der ausgeglichenen Rechnung mit Einbezug der Investitionen ist am strengsten. Aufgrund des Gerechtigkeitsarguments zwischen den Generationen können Investitionsausgaben durch Anleihen finanziert werden. Mit der Investitionsentscheidung müssen die künftig laufenden Kosten und ihre Tragbarkeit durch die laufende Rechnung berechnet werden.
Kriterium 5: Abschreibungspraxis und Rückzahlung der Schulden
Die Verteilung der Investitionskosten über die Generationen erfolgt durch eine konsequente Abschreibungspolitik, die das Prinzip des pay-as-you-use respektiert. In der Buchhaltung müssen die Abschreibungssätze des Verwaltungsvermögens nach Kategorien festgehalten werden, damit die Rückzahlung der Anleihen mit der Nutzungsdauer der Investitionen übereinstimmt.
Kriterium 6: Sanktionsmechanismus
In der Verfassung oder im Gesetz sollte für den Fall einer Regelverletzung ein Sanktionsmechanismus festgelegt werden. Die strikte Strafe besteht in der Pflicht einer sofortigen Steuererhöhung zur Ausgleichung des Defizits. Die flexiblere Sanktionierung besteht aus der Übertragung des Defizits auf das nächste Rechnungsjahr mit einer Kompensierung in den nachfolgenden Budgets.
Die empirische Studie hat gezeigt, dass sich Kantone mit härteren Haushaltsregeln tatsächlich weniger stark als Kantone mit weicheren Regeln verschulden. Diese Ergebnisse der ökonometrischen Analyse sind jedoch mit Vorsicht zu geniessen: Regeln können zwar einen wichtigen Rahmen setzen, aber eine nachhaltig gute finanzielle Lage der Kantone basiert auch auf einem verantwortungsbewussten Finanzverhalten der politischen Entscheidungsträger.
Informationen zu Nadia Yerly
Dr. Nadia Yerly war Forscherin am Lehrstuhl für öffentliche Finanzen der Universität Freiburg, Schweiz. Nun ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung, Bern.
nadia.yerly@blw.admin.ch
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