Territoriale Verlagerung von Verwaltungsapparaten

von Peter Bußjäger, 03.10.2019

In einer parlamentarischen Enquete setzte sich der Bundesrat der Republik Österreich am 9. Oktober 2019 mit den Chancen und Möglichkeiten der Dezentralisierung auseinander. Peter Bußjäger befaßt sich mit dem Trend in Europa, Rahmenbedingungen und dem Handlungsbedarf in Österreich.

Eine wachsende Zahl von europäischen Staaten und Regionen verfolgen Projekte einer territorialen Dezentralisierung von Verwaltungsapparaten. Unter Dezentralisierung wird im gegebenen Zusammenhang die räumliche Verlagerung von Dienststellen verstanden, die bisher zumeist am jeweiligen Regierungssitz angesiedelt waren und nunmehr in anderen Regionen eingerichtet werden sollen.

Neuer Trend in Europa?
Entsprechende Trends sind in einigen europäischen Staaten, wie etwa Dänemark, Finnland und Schweden zu beobachten. Beispiele für eine dezentrale Verwaltungsorganisation finden sich außerdem auf Ebene der Europäischen Union, wo etwa die Standorte der 45 dezentralen Agenturen auf 33 Städte in 23 Ländern verteilt sind.
Die territoriale Dezentralisierung von Behördenstandorten ist kein völlig neues Phänomen. Besonders föderale Staaten unterstreichen durch die Ansiedlung von Institutionen von gesamtstaatlicher Bedeutung außerhalb der Hauptstadt einen Anti-Zentrismus, wie dies in Deutschland mit dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig oder dem Bundeskartellamt in der früheren Hauptstadt Bonn erfolgt, in der Schweiz wiederum mit dem Bundesgericht in Lausanne, dem Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen und dem Bundesstrafgericht in Bellinzona. Demgegenüber wird im Falle Österreichs anhand der auch auf Grundlage der Bundesverfassung (Art 5 B-VG) erfolgenden Ansiedelung derartiger Institutionen in Wien deutlich, dass der österreichische Bundesstaat noch immer der zentralistischen Tradition der Habsburgermonarchie verbunden ist.

Ziele von Behördenverlagerungen
Bereits in den 1970er und 80er Jahren wurden Diskussionen über „Behördendezentralisierungsprogramme“ geführt. Systematische Bestrebungen um eine derartige territoriale Dezentralisierung sind vor allem aus Großbritannien, den Niederlanden und Schweden bekannt. Die damaligen Ziele ähnelten durchaus den heutigen mit solchen Projekten verbundenen Intentionen: So sollte etwa im Falle Schwedens der Ballungsraum Stockholm entlastet werden, peripher gelegenen Regionen Wachstumsimpulse vermittelt werden, um regionale Disparitäten zu vermindern. Die Tatsache, dass sich diese Ziele praktisch nicht von den heutigen Intentionen unterscheiden, ist vor dem Hintergrund teilweise massiv veränderter Rahmenbedingungen bemerkenswert.

Es geht um Entlastung der urbanen Zentren, Stärkung der peripheren Regionen, Einbremsen der Abwanderung, ausgewogene Entwicklung durch Schaffung von qualifizierten Arbeitsplätzen.

Digitalisierung und Behördenverlagerung
Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen von Behördenverlagerungen unterscheiden sich von der Vergangenheit vor allem durch das Phänomen der Digitalisierung. Zwar hatte auch – beginnend in den 1970er Jahren – die schon damals so bezeichnete „Automatisierung der Verwaltung“ ihre Spuren hinterlassen. Die Digitalisierung von Akten, Verfahren und Entscheidungen hat jedoch in den letzten Jahren eine neue Dimension erreicht und ist gewiss noch nicht an ihrem Endpunkt angelangt. Es steht außer Frage, dass die Digitalisierung territoriale Verlagerungen von Behörden erleichtert.

Spezialisierung und Behördenverlagerung
Ein weiterer Megatrend in der Verwaltung ist die Spezialisierung. Die Erledigung der Verwaltungsaufgaben erfordert abseits der Routineangelegenheiten, die heute weitgehend digital abgewickelt werden, eine zunehmend intensivere Spezialisierung, was insbesondere auf die Ausdifferenzierung neuer Rechtsbereiche und die wachsende Komplexität zurückzuführen ist.
Demzufolge sind immer mehr spezialisierte Behörden entstanden. Behörden, die ein breiteres Aufgabenspektrum zu erfüllen haben, wie etwa die Bezirkshauptmannschaften, befinden sich in diesem Megatrend im Nachteil. Die Antwort von Rechtsträgern für solche Generalbehörden ist in vielen Fällen die Zusammenlegung zu größeren Einheiten. Dies führt im Regelfall zu einer Auflassung von Standorten und bewirkt genau jenen Effekt, den Behördenverlagerungen in der Tendenz verhindern sollen: Die Ausdünnung peripherer Regionen und eine weitere Verdichtung in den ohnehin starken urbanen Zentren.

Clusterbildung als Instrument in der territorialen Verwaltungsorganisation?
Das Instrument des Clusters ist aus der Wirtschaftspolitik bekannt und bezeichnet die Zusammenführung von angewandter Forschung und auf bestimmte Schwerpunkte spezialisierten Unternehmen in einer Region. Dieses Konzept kann auch für die räumliche Verwaltungsorganisation fruchtbar gemacht werden. Entscheidend ist dabei die Einbindung von Universitäten bzw Universitätsinstituten, Fachhochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie Verwaltungseinrichtungen in ein Gesamtkonzept. Derartiges würde sich etwa in den Bereichen Naturgefahrenmanagement, Pflege, Ernährung, Mobilität usw anbieten.

Kriterien der Behördenverlagerungen
Für die Beurteilung, ob eine territoriale Dezentralisierung sinnvoll ist, muss vor allem auf folgende Kriterien Bedacht genommen werden:

Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen für Österreich

Das Institut für Föderalismus und die Institut für Verwaltungsmanagement GmbH haben in einer Studie aus dem Jahr 2017 die Zahlen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der österreichischen Bundesverwaltung näher untersucht und empfohlen, in einem Zeitraum von rund zehn Jahren zehn Prozent, was 3.500 Stellen entspricht, zu dezentralisieren. Erforderlich sind dafür zunächst die Herstellung eines politischen Konsenses sowie umfassende Vorarbeiten,wie insbesondere die Erhebung der Kontakte aller Bundesdienststellen, um vor allem Bürgernähe und Bürgerservice zu wahren. Hilfreich wäre dabei, zunächst einzelne Pilotprojekte  durchzuführen sowie darauf zu achten, neu geschaffene Einrichtungen dezentral anzusiedeln.
Nicht zu vergessen ist allerdings, dass die Verlagerung von Dienststellen einen komplexen Prozess darstellt: Einerseits sind viele objektive Erfolgskriterien zu erfüllen und andererseits spielen die persönliche Situation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine entscheidende Rolle. Derartige Faktoren wären in einem umfassenden, mittelfristig zu erstellenden Dezentralisierungskonzept zu berücksichtigen.

Informationen zu Peter Bußjäger



Peter BußjägerUniv.-Prof. Dr. Peter Bußjäger ist Direktor des Institutes für Föderalismus und Professor am Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre der Universität Innsbruck.




peter.bussjaeger@foederalismus.at

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