US-Wahl: Wie Chancen triumphieren können?
von Reiner Eichenberger, 16.11.2016Donald Trump wurde gewählt und wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten. Ob der Slogan nun «Make America Great Again» oder «Change» lautet, die Amerikaner dürsten nach echten Reformen. Doch zeigt der gesamte Wahlkampf inklusive der Vorwahlen, dass die Wähler großenteils fühlen, kein angemessenes Gehör mehr in der Politik zu finden, und ob der vielen unerfüllten politischen Versprechungen desillusioniert sowie von der Classe Politique und dem Establishment schwer enttäuscht sind. Ähnliches gilt auch für viele Wähler in Europa.
Entgegen weitverbreiteter Ängste und Einwände kann diese Wahl gleichwohl eine echte Chance auf Erneuerung darstellen. Immerhin haben die Amerikaner nicht für Trump gestimmt um der Welt und sich selbst zu schaden, sondern weil sie denken, Trump sei gut für die USA. Doch Trump kann die Probleme nicht lösen, indem er eine aus Sicht seiner Wähler gute Politik macht. Er muss dafür sorgen, dass sich die Classe Politique verändert und die Wähler wieder finden, sie fänden hinreichend Gehör. Dazu muss Trump die politischen Institutionen der USA verändern, denn die heutige Situation ist die logische Konsequenz der gegenwärtigen Institutionen. Mit der Umsetzung der nachfolgenden fünf Empfehlungen könnte sich die Politik in den USA, aber auch in Europa substantiell verbessern.
Erstens wollen die Wähler in den USA offenbar dringend einen Wechsel und waren bereit, dafür Risiken einzugehen. Sie spüren eine Blockade im politischen Prozess. Schon acht Jahre zuvor hatten sie mit Obama für „Change“ gestimmt. Aus europäischer Sicht ist das zuweilen nicht leicht zu verstehen, denn insgesamt stehen die USA wirtschaftlich bedeutend besser da als die meisten europäischen Länder, ja besser als die meisten Länder der Welt. Gerade daraus resultiert aber eines der grundlegenden Probleme der USA: Der Vergleich mit den meisten europäischen Ländern oder auch Japan ist ein Vergleich mit „Lahmen und Fußkranken“. Die Wähler schätzen zurecht das Potential der USA bedeutend höher ein und müssen zusehen, wie es verspielt wird. Entscheidend ist also ein richtiges Benchmarking: Eine führende Demokratie und Wirtschaftsmacht, sollte sich nicht am Durschnitt orientieren, sondern an besonders erfolgreichen Ländern, neben Kanada vor allem den skandinavischen Ländern sowie dem deutschsprachigen Raum. Die Länder dieser zwei Gruppen zeichnen sich durch einen intensiven politischen Wettbewerb im inneren aus, sind von Vielfalt geprägt und stehen untereinander in besonders intensivem Wettbewerb und Ideenaustausch. Entsprechend sind denn auch Dänemark und die Schweiz die zwei Ländern mit nach allgemein anerkannten Analysen den zufriedensten Bevölkerungen und besonders hoher Wettbewerbsfähigkeit. Ein systematischerer Vergleich der USA und ihrer Regionen mit diesen beiden Ländergruppen wäre für beide Seiten höchst fruchtbar.
Zweitens sind die USA mitunter deshalb besonders erfolgreich, weil sie gut funktionierende Institutionen haben und vergleichsweise dezentral organisiert sind. Das gilt auch für die wenigen erfolgreichen Länder und Regionen in Europa. So ist Skandinavien genau genommen viel stärker dezentralisiert als die USA, nämlich je nach Zählart in drei bis fünf völlig unabhängige Staaten, die sich einen besonders intensiven Standortwettbewerb liefern. Der darüber hinaus durch die innerstaatliche Dezentralisierung induzierte Wettbewerb führt zu einer besseren Repräsentation der Bürger, da Probleme weniger abstrakt behandelt werden und lokale Anpassungsmöglichkeiten geschaffen werden. Ein dezentrales System ist mit vielen Gebietskörperschaften auch flexibler, krisenresistenter, und Dezentralisierung ist ein alternatives System von Checks-and-Balances. Zudem kann man sich bei starker Dezentralisierung leichter politische Experimente erlauben: Eine stärkere Dezentralisierung würde die USA stärken, die politische Macht innerhalb des Staats besser verteilen und damit könnten die Vereinigten Staaten auch in Zukunft ein demokratisches und wirtschaftliches Vorbild für Europa sein.
Drittens zeigt die Wahl von Trump, dass Bürger unbedingt vorab an politischen Entscheidungen breit beteiligt werden wollen und sollen. Das funktioniert am besten durch ausgeprägte Volksrechte und echte direkte Demokratie, wie sie die USA in mehreren Bundesstaaten bereits kennen. Sie stellen eine weitere Art des politischen Wettbewerbs dar. Die Bürger erhalten die Möglichkeit, bezüglich einzelner Sachthemen Entscheidungen zu treffen, sodass kontroverse Themen separat, einzeln und unabhängig voneinander entschieden werden können. Damit kommt es erst gar nicht zu einer aufgestauten Frustration mit der politischen Elite, da diese in Zaum gehalten und besser kontrolliert wird. Gleichzeitig erlauben Initiativen bzw. Volkbegehren mit nachfolgende Volksabstimmung auch Randthemen in die öffentliche Diskussion zu bringen, ohne die politischen Entscheidungsträger mit Donnerschlag und Turbulenzen vollständig auswechseln zu müssen.
Viertens ist das Zweiparteiensystem mit Mehrheitswahlen in den USA zu wenig wettbewerblich. Immer weniger Bürger sind zufrieden mit nur zwei „Politikmarken“, genauso wie niemand nur mit einer Auswahl von zwei Automarken zufrieden wäre, selbst wenn es intensiven Wettbewerb innerhalb der Parteien geben sollte. Viele Leute fühlen sich im Zweiparteiensystem entfremdet, da Randpositionen nicht ausreichend repräsentiert werden oder nur zufällig Ausdruck im politischen Prozess finden. In den erfolgreichen Ländern Europas gibt es bedeutend mehr Vielfalt in der Politik. Durch im Proporz (Verhältniswahlrecht) gewählte Politiker werden verschiedenste Anliegen formuliert, sodass man sich nicht auf wenige Prediger verlassen muss, die noch dazu immer das gleiche predigen. Proporzwahlen bringen damit nicht nur eine andere Form von Wettbewerb, sondern auch die für fruchtbaren Wettbewerb typische und notwendige Vielfalt. Dies ist insbesondere in den Vereinigten Staaten von Bedeutung, gegeben der bestehenden Ungleichheit zwischen Wählergruppen, die zuweilen so weit geht, dass einzelne Gruppen die Anliegen der anderen nicht mehr verstehen können und wollen.
Fünftens reichen Proporzwahlen alleine allerdings nicht aus, um mehrheitsfähige und tragbare Politik zu generieren. Vielmehr kommt es auf eine kluge Kombination von Mehrheits- und Proporzwahlen an. Proporzpolitiker tragen dazu bei, dass neue Positionen aufgenommen werden und über Randthemen offen diskutiert wird. Sie sind also auch eine Bremse für übertriebene politische Korrektheit. Von der Mehrheit gewählte Politiker müssen sich allerdings mit der Umsetzung der verschiedensten Vorschläge befassen sowie Kosten und Nutzen der Alternativen für die Volksmehrheit möglichst gegeneinander abwägen. Dabei zeigen unsere eigenen Forschungsergebnisse, dass dies in der Tat gemacht wird: So erweisen sich selbst rechte und linke Randpolitiker als wahre Vertreter der Volksmehrheit, sobald sie ein majorz-gewähltes (im Mehrheitswahlrecht gewähltes) Amt anstreben oder innehaben. Illustrativ ist die Schweiz. Da wird die grosse Zahl der Politiker im Proporzverfahren gewählt. Alle besonders wichtigen Ämter werden aber im Mehrheitswahlverfahren gewählt. Entsprechend gibt es zwar eine grosse Parteienvielfalt, zugleich aber müssen sich die besonders fähigen Politiker aus allen Parteien in die politische Mitte bewegen um ein majorz-gewähltes Amt erringen zu können. Die Mischung zwischen proporz- und mehrheitsgewählten Politikern führt damit zum einen zu mehr Vielfalt und neuen Ideen, aber garantiert gleichzeitig Stabilität, Sicherheit und ein besseres Abwägen von Vor- und Nachteilen verschiedener Politikvorschläge.
Möchte Trump in vier Jahren wiedergewählt werden, sollte er sich unsere Vorschläge zu Herzen nehmen, denn mit Sprüchen ist es als Präsident nicht getan, was er als Unternehmer, Reality-Star, und erfolgreicher Wahlkämpfer wohl selbst weiß. Unsere Vorschläge würden zu einer stärkeren USA führen. Aber auch europäische Politiker sollten die Empfehlungen in Betracht ziehen, wenn sie sich in Zukunft nicht selbst mit Kandidaten à la Trump herumschlagen wollen.
Wissenschaftliche Publikationen im Zusammenhang zum Artikel:
Stadelmann, D.; Portmann, M. & Eichenberger, R. (2016), 'Preference Representation and the Influence of Political Parties in Majoritarian vs. Proportional Systems: An Empirical Test', British Journal of Political Science, doi:10.1017/S0007123416000399.
Stadelmann, D.; Portmann, M. & Eichenberger, R. (2015), 'Income and policy choices: Evidence from parliamentary decisions and referenda', Economics Letters 135, 117-120. doi:10.1016/j.econlet.2015.07.022
Stadelmann, D.; Portmann, M. & Eichenberger, R. (2012), 'Evaluating the Median Voter Model's Explanatory Power', Economics Letters, 114 (3), 312-314. doi:10.1016/j.econlet.2011.10.015
Informationen zu Reiner Eichenberger
Reiner Eichenberger ist Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg (Schweiz) und Forschungsdirektor von CREMA Schweiz (Center for Research in Economics, Management, and the Arts)
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