VfGH: Nur wenig Föderales zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz

von Peter Bußjäger, 19.12.2019

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12. Dezember 2019 (G 164/2019-25, G 171/2019-24; Link zum Erkenntnis) Teile des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes (SH-GG, BGBl I 41/2019) aufgehoben. Aus föderaler Sicht enthält das Grundsatzgesetz mehrere interessante Anknüpfungspunkte: So war insbesondere bemerkenswert, dass der Bund von diesem Kompetenztypus im Bereich des „Armenwesens“ erstmals Gebrauch gemacht hatte. Zudem wurde mit dem SH-GG insofern ein Paradigmenwechsel vorgenommen, als es Höchststandards vorgibt, während die vormals bis zum 31.12.2016 maßgebliche Art 15a B-VG-Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung darauf abzielte, einheitliche Mindeststandards festzulegen (siehe hierzu Föderalismus-Info 01/2019). Was die Ausführung des SH-GG betrifft, kam hinzu, dass trotz Frist zur Umsetzung bis zum 1. Jänner 2020 im Dezember 2019 mit Niederösterreich (LGBl 79/2019) und Oberösterreich (LGBl 107/2019) erst zwei Länder Ausführungsregelungen getroffen haben.

Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen bundesstaatlich relevanten Gesichtspunkte erweist sich das aktuelle Erkenntnis des VfGH – aus föderaler Sicht – als enttäuschend. Zwar erwähnt der VfGH den grundlegenden Systemwechsel von Mindest- zu Höchstsätzen, äußert sich allerdings nicht zur Frage, ob dies noch dem System der Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung entspricht. Vielmehr misst er die abweichenden Höchstsätze für Kinder (§ 5 Abs. 2 Z 3 SH-GG) am Gleichheitssatz und kommt zum Ergebnis einer fehlenden sachlichen Rechtfertigung. Lediglich aus dem Umkehrschluss, dass der VfGH die übrigen Höchstsätze unangetastet lässt, kann man wohl ableiten, dass ein Höchstsatzsystem in einem Grundsatzgesetz prinzipiell zulässig ist. Jedoch müssen die Höchstsätze für sich, aber auch im Verhältnis zueinander den Anforderungen des Gleichheitssatzes entsprechen.

Darüber hinaus weisen auch die weiteren Aufhebungen betreffend den Arbeitsqualifizierungsbonus in § 5 Abs. 6 bis 9 SH-GG sowie die ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zur Datenverarbeitung in § 1 Abs 1 Sozialhilfe-Statistikgesetz (SH-SG) keine föderalen Bezugspunkte auf. Hinsichtlich letzterem wurden allerdings, wie der VfGH im Erkenntnis ausdrücklich betont, keine kompetenzrechtlichen Bedenken geäußert, weshalb er sich nicht mit der Frage zu beschäftigen hatte, ob der Bundesgesetzgeber zur Erlassung dieser Bestimmung überhaupt zuständig war.

Diejenigen Äußerungen im Erkenntnis, die der VfGH zum Kompetenztypus Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung trifft, enthalten größtenteils bereits Bekanntes: Die Grundsatzgesetzgebung hat sich auf die Aufstellung von Grundsätzen zu beschränken und über diese Grenze hinaus ist es ihr verwehrt, Detailregelungen zu erlassen, die der Landesgesetzgebung vorbehalten sind.

In einem längeren Abschnitt untersucht der Gerichtshof zudem die einzelnen Bestimmungen des SH-GG im Hinblick auf konkrete Ausführungsspielräume und kommt zum Ergebnis, dass das Grundsatzgesetz keine „überdeterminierten“ Bestimmungen enthält. Dem Hinweis des VfGH auf seine frühere Judikatur, wonach es dem Grundsatzgesetzgeber freistehe „auch Detailregelungen zu treffen, die Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für das ganze Bundesgebiet betreffen“ (mwN VfSlg 17.232/2004), kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu. Allerdings verweist der VfGH auch darauf, dass bei der Auslegung eines Grundsatzgesetzes im Zweifelsfall diejenige Möglichkeit als zutreffend anzusehen ist, die der Ausführungsgesetzgebung den weiteren Spielraum lässt (siehe schon VfSlg 3649/1959).

Von (föderalem) Interesse sind außerdem die Ausführungen zum Kompetenztatbestand „Armenwesen“, der unter anderem Regelungen umfasst, die auf die Förderung der (Wieder-)Eingliederung von Bezugsberechtigten in das Erwerbsleben abzielen.

Zusammenfassend ist das Erkenntnis aus bundesstaatlicher Sicht wenig befriedigend. Höchstsätze werden (indirekt) als zulässig erachtet. Ebenso sind dem Grundsatzgesetzgeber Detailregelungen erlaubt. Wieder einmal zeigt sich, dass der Kompetenztypus Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung in seiner gegenwärtigen Ausprägung sowie in der Art der Inanspruchnahme keine zweckmäßige Aufgabenteilung ermöglicht. Daraus resultiert die Forderung, den mit der B-VG Novelle BGBl I 14/2019 begonnenen Weg auch in der neuen Legislaturperiode fortzusetzen und die in der Grundsatzgesetzgebung verbliebenen Kompetenzen zu entflechten.

Informationen zu Peter Bußjäger



Peter BußjägerUniv.-Prof. Dr. Peter Bußjäger ist Direktor des Institutes für Föderalismus und Professor am Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre der Universität Innsbruck.




peter.bussjaeger@foederalismus.at

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