Zur Beschleunigung von Solaranlagengenehmigungen unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität
von Maximilian Fritsch, 27.02.2023Die Energiekrise in Europa veranlasste die Institutionen der Europäischen Union 2022 dazu, einen Rechtsrahmen für die Beschleunigung der Verfahren zur Genehmigung erneuerbarer Energien zu fassen. Mit der befristeten Notmaßnahmeverordnung 2022/2577 vom 22. Dezember 2022 sollen erneuerbare Energieträger in höherem Tempo als bisher ans Netz kommen.
Dieser Beitrag befasst sich am Beispiel der beschleunigten Zulassung von Solaranlagen mit den Fragen, ob die Rechtsetzung dem EU-Primärrecht folgt und – anhand der innerdeutschen Rechtslage – welche Auswirkungen für die subnationale Ebene entstehen könnten.
Entstehung der Vorschrift und wesentliche Inhalte
Am 9. November 2022 legte die Kommission einen Verordnungsvorschlag vor. Dieser resultierte aus den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 20/21. Oktober 2022 und stützet sich auf den REPowerEU-Plan der Kommission vom 18. Mai 2022. Der Energieministerrat vom 24. November 2022 beschloss die Verordnung, sodass diese bei der folgenden außerordentlichen Tagung des Rates Energie förmlich angenommen werden konnte.
Die Inhalte zur beschleunigten Genehmigung von Solaranlagen finden sich in Art. 4 der Verordnung.
Abs. 1 regelt im Wesentlichen, dass Genehmigungsverfahren von Solarenergieanlagen auf künstlichen Strukturen maximal drei Monate in Anspruch nehmen dürfen. Weiter wird festgelegt, dass Solarenergieanlagen im Rahmen von Vorhaben, für die eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist, nicht unter diese Prüfung fallen.
Abs. 2 sieht einen Ausnahmetatbestand vor, wonach Abs. 1 nicht angewendet werden muss, wenn die Mitgliedstaaten Gebiete und Strukturen aus Gründen des Kulturerbeschutzes, der Verteidigung oder aus Sicherheitsgründen ausnehmen.
Abs. 3 führt eine Genehmigungsfiktion ein, wonach Solarenergieanlagen bis zu 50 kW innerhalb eines Monats genehmigt sind, wenn die Behörde keine Antwort übermittelt und sofern die Netzkapazität den Anschluss zulässt.
Zur Rechtsgrundlage der Verordnung und der Wahrung der Subsidiarität
Die Erwägungsgründe der Verordnung geben Einblick über die Befugnisnorm, die nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung angewendet wurde, um die Verordnung zu erlassen. Hier tauchen bereits die ersten Fragen auf.
Art. 122 AEUV regelt die Möglichkeit des Rates, der Wirtschaftslage angemessene Maßnahmen beschließen, soweit bei der Versorgung mit Waren, vor allem im Energiebereich, gravierende Schwierigkeiten auftreten.
Die Norm steht innerhalb der Vertragssystematik im Kapitel über Wirtschaftspolitik. Damit können mit „Maßnahmen“ auch nur solche des Wirtschaftsrechts gemeint sein. Die Genehmigungsverfahren für Solaranlagen unterfallen aber laut dem EU-Primärrecht spezielleren Regelungen. Sie sind nämlich in Art. 194 AEUV im Kapitel Energie aufgeführt. Auf die aus dieser Norm herzuleitende Energiesolidarität weisen die Erwägungsgründe der Verordnung auch ausdrücklich hin. In Art. 194 AEUV wird die Förderung erneuerbarer Energiequellen genannt, aber auch die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit der Union. Sie ist damit die speziellere Rechtsgrundlage und anzuwenden. Dies ist auch relevant, da im Rahmen dieser Befugnisnorm im Gegensatz zu Art. 122 AEUV das ordentliche Gesetzgebungsverfahren mit einer Anhörung des Ausschusses der Regionen durchzuführen ist. Zwar ist nachvollziehbar, dass die Probleme der Energieversorgung zeitnah gelöst werden müssen – dennoch können dafür nicht Rechtsgrundlagen falsch angewendet werden.
Weiterhin sieht Art. 194 AEUV vor, dass durch eine Maßnahme insbesondere die allgemeine Struktur der Energieversorgung der Mitgliedstaaten und die Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen unberührt bleibt. Damit hätte sich bei Anwendung der korrekten Rechtsgrundlage bereits die Frage gestellt, ob eine verfahrensrechtliche Regelung unter Berücksichtigung von Art. 5 EUV überhaupt hätte erlassen werden dürfen. Die sehr pauschale Subsidiaritätsbegründung der Erwägungsgründe bietet hier keine Aufklärung. Während die Dreimonatsfrist des Abs.1 aufgrund ihrer reinen formalen Regelungswirkung noch unter Verhältnismäßigkeitsaspekten der Subsidiarität entsprechen könnte, weil die Festsetzung einer Höchstfrist für Verwaltungsverfahren keine inhaltlichen Entscheidungseinschränkungen mit sich bringt, so ist die Einführung der Genehmigungsfiktion eher problematisch. Denn durch sie kann letztlich die materielle Entscheidung ausgehebelt werden, zum Beispiel das Landesdenkmalrecht. Die Union hat für einen materiellen Zugriff gar keine Zuständigkeit. Es gibt auch gute Gründe dafür, dass standortgebundene Regelungsinhalte, wie die Anbringung ortsfester Anlagen, keiner unionsweiten Regelung bedürfen. Die Vorschrift ist dahingehend auch inkonsequent: Denn für die Festsetzung der Dreimonatsfrist wird den Mitgliedstaaten die Öffnungsklausel für Ausnahmen gewährt. Für die Anlagen bis zu 50 kW soll hingegen keine Möglichkeit bestehen, Ausnahmen von der Genehmigungsfiktion aus Sicherheitsgründen oder zum Schutz des kulturellen Erbes zuzulassen. Herzuleiten ist dies laut Erwägungsgründen wohl aus dem geringeren Beeinträchtigungsgrad solcher kleineren Anlagen, was jedoch fehl geht. Die Schwelle von 50 kW bedeutet in der Praxis, dass je nach Technik über 100 Module umfasst würden, was auf Bestandsgebäuden eine erhebliche bauliche Änderung darstellt.
Dass der in der Verordnung beschleunigte Bau von Solarenergieanlagen beispielsweise in Deutschland nicht im Energie-, sondern im Wesentlichen im Baurecht (aber auch im Denkmalrecht) geregelt ist, ist hingegen kein Problem des Unionsgesetzgebers. Zwar gibt es keine unionsrechtliche Zuständigkeit im Bau - und Denkmalrecht. Das Problem liegt aber eher darin, dass man im nationalen Recht die Solarenergieanlagen nicht stringent und transparent im Sinne des Unionsrechts geregelt hat. Denn recht eindeutig überwiegt bei Solaranlagen ihr Nutzungszweck als technische Anlage der Energieversorgung und nicht als bauliche Anlage. Sie sind mit oder ohne Einspeisung Teil der Energieinfrastruktur, so dass ihr Bau wie der Betrieb im Energierecht verankert werden könnte - in Deutschland ist dieses als „Recht der Wirtschaft“ Teil der konkurrierenden Gesetzgebung. Es wurde aber der Weg gewählt, die im Energierecht wurzelnden Bauvorschriften für Solaranlagen in das Baurecht des Bundes und der Länder „einbrechen“ zu lassen. Der Bund hat Bauvorschriften für Solaranlagen, insbesondere für Freiflächen und im Außenbereich, nicht im Erneuerbare-Energien-Gesetz, sondern vor allem in das Baugesetzbuch und das Fernstraßenrecht integriert – Rechtsgrundlage dafür bleibt aber die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Wirtschaftsrecht, da Solaranlagen Energieinfrastruktur sind. Die Länder sind dieser Aufteilung gefolgt und haben vor allem für Solaranlagen an baulichen Anlagen Regelungen in den Bauordnungen geschaffen, weil der Bund für diese Aspekte im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung im Energierecht keinen Gebrauch gemacht hat. Für diese Wertung von Solaranlagen als energierechtliche Thematik spricht im Übrigen auch, dass Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ihre Solarpflichtregelungen nun nicht mehr in den Bauordnungen, sondern in eigenen Solar- bzw. Klimagesetzen geregelt haben, deren Ansatz laut den Landtagsdrucksachen energiepolitische Gründe sind.
Würdigung der Solarregelungen der Verordnung
Durch die weitgehende bauordnungsrechtliche Verfahrensfreiheit für Solaranlagen auf baulichen Anlagen in Deutschland sind die Anforderungen der Verordnung im nationalen Recht bereits weitgehend Realität. Dies gilt auch für die maximale Verfahrensfrist von drei Monaten, die durch die Möglichkeit der Erhebung einer Untätigkeitsklage nach drei Monaten erfüllt ist. Andere Schnittpunkte, so beispielsweise zum Bayerischen Denkmalschutzgesetz, sind bisher nicht geregelt. Damit sind die Fristenregelungen der Verordnung für diese Materie nun vorerst direkt anzuwenden. Der bayerische Gesetzgeber versuchte erst jüngst, ausdrückliche Regelungen für Solaranlagen im Denkmalrecht zu verankern. Die Formulierung der Verordnung ist in sich kritisch. Sie differenziert im Sinne des Art. 2 der Verordnung ausdrücklich nicht danach, ob Genehmigungen zum Bau oder Genehmigungen zum Betrieb eine Fristenregelung zukommen soll. Die Erläuterungen zur Verordnung stellen die Betriebsanforderungen wie die Netzstabilität in den Mittelpunkt. Allenfalls mit dem Hinweis, dass Solaranlagen bis 50 kW keine bedeutenden nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt haben dürften (zur kritischen Beurteilung dieser Einschätzung s. o.), wird auch auf baulichen Anforderungen Bezug genommen. Zudem unterliegt der Bau von Solaranlagen innerhalb der Unterscheidung nach Bau- oder Betriebszulassung unter Umständen mehreren Genehmigungstatbeständen, was die Verordnung jedoch ebenfalls nicht berücksichtigt; vielmehr soll jede Genehmigungsart den unionsrechtlichen Fristen unterliegen. Dies wird jedoch mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung kaum vereinbar sein. Die Union kann nur solche Verfahren regeln, die auch in ihre Zuständigkeit fallen: Das wäre hier die Zulassung von Solarenergieanlagen als Teil der Energieinfrastruktur. Weiter sind auch die Rechtsfolgen nicht genannt. Es wird nicht geregelt, was bei einem Überschreiten der Dreimonatsfrist passiert. Es bleibt ebenso unklar, welche Rechtsnatur die Antwort der Behörde zur Vermeidung des Eintretens der Genehmigungsfiktion haben soll: Ist eine Entscheidung erforderlich oder genügt eine Zwischenstandsmitteilung. Nur aus den Erwägungsgründen ist zu interpretieren, dass bei 50 kW-Anlagen eine Entscheidung möglich sein sollte, da die Auswirkungen der Anlagen so geringfügig seien, was aber, wie oben erwähnt, durchaus bezweifelt werden kann.
Die Befristung der Verordnung
Zwar gilt die Verordnung nur befristet, die hierdurch beschleunigt zugelassenen Anlagen verbleiben aber dauerhaft. Die Intention, eine Notfallmaßnahme zu schaffen, wird hierdurch konterkariert.
Wahl der Verordnung als Rechtsakt
296 Absatz 1 AEUV fordert bei der Wahl des Rechtsakts den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Die unmittelbar wirkende Verordnung muss also geeignetes Mittel zur Durchsetzung der Inhalte sein. Dies ist insoweit fraglich, als die Regelungen bezüglich der Rechtsfolgen – wie vorgenannt – unvollständig sind. Während bei einer Richtlinie auf die Umsetzung einer Maßnahme in die Rechtsstruktur des nationalen Recht (und deren Rechtsfolgen) verwiesen werden kann, wird eine Verordnung als unmittelbar anwendbares Recht auch Regeln treffen müssen, die ohne Umsetzungsakt vollziehbar sind und keine Fragen offen lassen – sei es durch eine Rechtsfolgenverweisung. Die übrigen Kriterien sind weniger problematisch. Es darf kein milderes Mittel geben, das genauso geeignet ist. Angesicht der Zielsetzung, eine Energiesicherheitsnotlage zu vermeiden, kann grundsätzlich mit einer Verordnung anstelle einer Richtlinie argumentiert werden – insbesondere, soweit sie Öffnungsklausen vorsieht. Der Rechtsakt muss auch das angemessene Mittel sein. Auch dies ist nicht abzusprechen. Das Problem liegt insgesamt weniger in der Wahl des Rechtsaktes, als in seinen Inhalten.
Fazit
Die Beschleunigungsregeln der EU-Verordnung zu Solarenergieanlagen wirken wie mit heißer Nadel gestrickt. Sie sind hinreichend sicher auf eine falsche primärrechtliche Grundlage gestützt und weisen inhaltlich Defizite auf, da beispielsweise Rechtsfolgen offen bleiben. Ob sie im Ganzen einer Subsidiaritätsprüfung Stand halten würden, ist fraglich. Insgesamt bleibt der Eindruck, dass die Thematik der beschleunigten Zulassung von Solaranlagen als Teil des Energieversorgungsstruktur der Mitgliedstaaten und typische standortgebundene Zuständigkeit, die unterschiedlichste Belange berührt, in den Zuständigkeitsfeldern der Mitgliedstaaten hätte verbleiben sollen.
Informationen zu Maximilian Fritsch
Dr. Maximilian Fritsch (Regensburg) wurde mit der Arbeit „Europa der Regionen – Überlegungen zu einem unionsrechtlichen Begriff der Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen anhand eines Rechtsvergleichs“ am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht sowie Kartell- und Regulierungsrecht an der Leuphana Universität Lüneburg promoviert. Für seine Dissertation erhielt er den Föderalismuspreis 2020.
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