Zwischenstädte als Chance für regionale Wettbewerbsfähigkeit

von Theresia Morandell, 03.06.2024

In unserer sich rasch urbanisierenden Welt prägen Großstädte (sog. global cities oder Metropolen) den politischen und wissenschaftlichen Diskurs. Im Gegensatz dazu sind sog. „Zwischenstädte“ (intermediate oder intermediary cities) erst in jüngerer Zeit in den Fokus der Stadtforschung gerückt.[1] Dabei handelt es sich um jene - mittelgroßen - Städte, die entlang des Stadt-Land-Kontinuums in der Mitte zwischen großen Metropolen und kleineren Städten, Dörfern und ländlichen Siedlungen angesiedelt sind. 20% der Weltbevölkerung lebt in mittelgroßen Städten – das entspricht 36% der Stadtbevölkerung weltweit. In Europa leben sogar 41.9% aller städtischen Bewohnerinnen und Bewohner in mittelgroßen Städten.[2]

Ein vielschichtiges Konzept

United Cities and Local Governments (UCLG) definiert Zwischenstädte als mittelgroße Städte mit einer Bevölkerung zwischen 50.000 und 1 Million.[3] Die Definition der Zwischenstadt hängt jedoch nicht nur von ihrer Größe ab. Von Bedeutung sind außerdem ihre relative Position im nationalen Städtesystem (hierarchische Dimension), sowie die Funktionen, welche die Zwischenstadt nicht nur für die städtische, sondern auch für die ländliche Bevölkerung in ihrem Umland erfüllt.

Zwischenstädte sind in gewissem Sinne sekundäre Städte. Sie sind weder die wichtigste Stadt eines Landes in Bezug auf ihre Bevölkerungszahl, ihre Wirtschaftsleistung oder ihre historische Bedeutung, noch sind sie Hauptstädte.[4]  Sie sind die „Mitte“ des Städtesystems eines Landes, „ohne das wirtschaftliche Gewicht, die politische Bedeutung und die Anziehungskraft von primären Städten (in der Regel Hauptstädte), aber immer noch wichtig genug, um eine bedeutende Rolle im nationalen und internationalen Kontext zu spielen“.[5]

Ein weiterer Ansatz zur Definition der Zwischenstadt rückt ihre Rolle als regionale Knotenpunkte und als Brücke zwischen unterschiedlichen Territorien in den Vordergrund. Wir sprechen hier also, funktional betrachtet, von der Regiopole – oder eben der Zwischenstadt. Innerhalb ihrer Region werden Zwischenstädte als Zentren für soziale, administrative und kulturelle Dienstleistungen angesehen, als Infrastrukturknotenpunkte, Planungszentren, sowie als wirtschaftliche Versorgungs- und Vertriebszentren. Sie verbinden somit (horizontal) ländliche mit städtischen Gebieten und (vertikal) das lokale mit dem regionalen, nationalen und in einigen Fällen auch mit dem internationalen Parkett.[6]

Zwischenstädte: Warum sollten wir uns darüber Gedanken machen?

Es ist genau dieser letztgenannte Aspekt der regionalen Integrationsfunktion, welcher intermediäre Städte zu einem besonders interessanten Phänomen für die Stadtforschung macht. Großen Metropolregionen kam in ihrer Rolle als Zentren der globalisierten Weltwirtschaft bisher der Hauptanteil der wissenschaftlichen, politischen und vor allem auch wirtschaftlichen Aufmerksamkeit zu. Bis heute erwirtschaften rund 600 (große) Städte mehr als 60% des weltweiten BIP.[7] Dies setzt kleinere Siedlungen unter Druck, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Kleine und mittelgroße Städte verfügen im Allgemeinen über weniger finanzielle, administrative und politische Ressourcen als Großstädte. Vor diesem Hintergrund kann die regionale Integration eine vorteilhafte Strategie für mittelgroße Städte und ihr Umland darstellen, um Agglomerationsvorteile zu schaffen und damit ressourcenbedingte Nachteile zu überwinden und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Indem Zwischenstädte und ihr Umland als kohärente Einheiten agieren und Ressourcen gemeinsam nutzen und ergänzen, so die wachsende Einsicht unter Forschenden und politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, können intermediäre Stadtregionen Entwicklungsmöglichkeiten sowohl für ihre Stadtbevölkerung als auch für die Bevölkerung in ihrem Umland schaffen.[8]

Somit gelten Zwischenstädte im europäischen Diskurs zunehmend als Eckpfeiler für die Förderung der territorialen Kohäsion und der nachhaltigen regionalen Entwicklung. Ihnen wird eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung eines polyzentrischen und ausgewogenen Städtesystems zugeschrieben, in welchem sich politische, soziale und ökonomische Entwicklungschancen nicht nur in großen Metropolen konzentrieren, sondern sich über ein Netz an größeren und kleineren Stadtregionen verteilen.

Was wir in der Städteforschung jedoch noch vermehrt benötigen, sind systematische Studien darüber, inwieweit Zwischenstädte tatsächlich in der Lage (und willens) sind, regionale Integration umzusetzen. Tauschen sich manche Zwischenstädte mehr mit ihrem Umland aus als andere? Welche Faktoren fördern oder behindern die Integration von Zwischenstädten mit ihrem Umland? Wie wirkt sich dies auf die Positionierung von Zwischenstädten im nationalen Städtesystem aus? Und vor allem: Führt regionale Integration tatsächlich zu einem ausgewogeneren Städtesystem? Da intermediäre Städte zunehmend eine prominentere Rolle nicht nur in der Forschung, sondern auch in nationalen und internationalen Entwicklungsagenden einnehmen, ist eine solide Evidenzbasis unerlässlich für die Formulierung von städtepolitischen Maßnahmen, welche auf die Bedürfnisse von Territorien unterschiedlicher Größen und jene ihrer Bevölkerung zugeschnitten sind.

 

 


[1] Rodrigo V. Cardoso and Evert J. Meijers, “Contrasts between First-Tier and Second-Tier Cities in Europe: A Functional Perspective,” European Planning Studies 24, no. 5 (2016): 996–1015, https://doi.org/10.1080/09654313.2015.1120708.

[2] Daten in diesem Beitrag stammen aus: Brian Roberts, Borja M. Iglésias, and Josep Maria Llop Torné, “Intermediary Cities: The Vital Nexus between the Local and the Global,” in Co-Creating the Urban Future: The Agenda of Metropolises, Cities and Territories, ed. UCLG, Fourth Global Report  on Decentralization and Local Democracy (Barcelona: UCLG, 2017), 131–221.

[3] Roberts, Iglésias, and Llop Torné (2017). Mehr Details zur Forschungsagenda von UCLG zu Zwischenstädten gibt es auf: https://www.old.uclg.org/en/agenda/intermediary-cities#:~:text=The%20vital%20nexus%20between%20the%20local%20and%20the,and%20urban%20areas%20to%20basic%20facilities%20and%20services.

[4] Brian Roberts, Managing the Systems of Secondary Cities: Policy Responses in International Development (Brussels, Belgium: Cities Alliance, 2014).

[5] Cardoso and Meijers (2016), p. 997.

[6] Josep Maria Llop Torné et al., “Las ciudades intermedias: concepto y dimensiones,” Ciudades, no. 22 (2019): 23–43, https://doi.org/10.24197/ciudades.22.2019.23-43.

[7] UCLG, Co-Creating the Urban Future. The Agenda of Metropolises, Cities and Territories (UCLG, 2017), p. 27 .

[8] Cardoso and Meijers (2016); Iris Reuther and Jürgen Aring, Regiopolen: die kleinen Grossstädte in Zeiten der Globalisierung, Jovis Diskurs (Berlin: Jovis, 2008); Rodrigo V. Cardoso and Evert J. Meijers, “Secondary yet Metropolitan? The Challenges of Metropolitan Integration for Second-Tier Cities,” Planning Theory & Practice 18, no. 4 (October 2, 2017): 616–35, https://doi.org/10.1080/14649357.2017.1371789; Llop Torné et al. (2019); Roberts, Iglésias, and Llop Torné (2017).

Informationen zu Theresia Morandell



Theresia MorandellTheresia Morandell ist Doktorandin am Institut für Vergleichende Föderalismusforschung, Eurac Research und am Lehrstuhl für Raumentwicklung und Stadtpolitik, ETH Zürich. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Lokalverwaltung, Mehrebenen-Governance und insbesondere der Stadt-Land Zusammenarbeit in der Raumplanung.

Theresia.Morandell@eurac.edu

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