Traditionellerweise möchte ich als Leiter des Instituts in dieser Ausgabe einen kleinen Jahresrückblick geben, den ich thematisch gliedere.
Verfassungsentwicklung im Bundesbereich
Beginnen wir mit dem vergleichsweise Erfreulichsten: Mit der
Lissabon-Begleitnovelle (BGBl I Nr 57/2010) zur Bundesverfassung ist es gelungen, den Bundesrat im Rahmen des so genannten Verfahrens der Subsidiaritätskontrolle von geplanten EU-Rechtsakten und bei der Klage wegen Verstoßes von EU-Rechtsakten gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem EuGH aufzuwerten (siehe dazu auch: Lissabon-Begleitnovelle
– Gesetzesantrag des Bundesrates, in: Föderalismus-Info Nr 3/2010). Auch die Verbindung zwischen Bundesrat und Landtagen wurde durch die Verpflichtung des Bundesrates, Stellungnahmen der Landtage zu „erwägen“, geringfügig, aber immerhin das, gestärkt. Dass dabei Vorschläge des Föderalismusinstitutes im Gesetzestext Berücksichtigung fanden, freut uns.
Ein von Institutsdirektor Peter Bußjäger gemeinsam mit Frau Paulette Grass verfasster Artikel wird dazu demnächst in der Österreichischen Juristen-Zeitung erscheinen. Wir weisen bereits jetzt darauf hin.
Föderalistische Interessen fanden zumindest partiell auch in der jüngsten Novelle zur Bundesverfassung (BGBl I Nr 98/2010) Berücksichtigung, nämlich im Rahmen der Ausweitung der Kontrolle von Rechnungshöfen auf die Gemeinden. Zwar konnte sich das Parlament nicht dazu durchringen, das Regierungsprogramm umzusetzen, in welchem davon die Rede war, dass ausschließlich die Landesrechnungshöfe ermächtigt werden sollten, Gemeinden mit unter 20.000 Einwohnern zu prüfen (was auch den langjährigen Forderungen des Instituts entsprochen hätte), aber das föderalistische Leben besteht nun einmal aus Kompromissen. Nunmehr teilen sich Rechnungshof und Landesrechnungshöfe faktisch die Gemeindekontrolle: Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern werden vom Rechnungshof geprüft, die Länder können die Landesrechnungshöfe mit der Kontrolle aller anderer Gemeinden ermächtigen. Gleiches gilt für die Gemeindeverbände. Ergänzt wird dieses Konzept durch ein äußerst kompliziertes System zahlenmäßig begrenzt zulässiger Prüfungsersuchen von Landesregierung und Landtagen bei Gemeinden über und unter 10.000 Einwohnern, das wir hier gar nicht näher vorstellen wollen. Die Intelligenz dieses Systems ist endenwollend, was für die Unübersichtlichkeit leider nicht gilt, aber so sind politische Kompromisse nun einmal.
Verwaltungsreform – PISA-Test für Politiker?
Plakative Fortschritte in der Verwaltungsreform gab es keine, was von den meisten Kommentatoren entsprechend kritisch vermerkt wurde. Zur Ehrenrettung der Gebietskörperschaften muss allerdings gesagt werden, dass die Binnenreformen von Bund, Ländern und Gemeinden in ihren Bereichen durchaus Fortschritte macht. Die Tatsache, dass Österreich im E-Government Platz eins in Europa innehält, stellt der Kooperationsfähigkeit aller Gebietskörperschaften ein sehr gutes Zeugnis aus.
Solche Erfolge gelangen leider bei weitem nicht so leicht in die Schlagzeilen, wie der unglückliche Streit um die Bildungsverwaltung. Die Position des Föderalismusinstitutes ist auch in dieser Frage seit langem klar: Zusammenführung der Schulverwaltung des Bundes und der Länder in der Organisation der Landesverwaltung, Übernahme sämtlicher Lehrer in die Landesverwaltung.
Für das Föderalismusinstitut war es daher grundsätzlich sehr erfreulich, dass die Landeshauptleute dieses Konzept in ihrer Mehrheit offenbar unterstützen und auch Teile der Bundesregierung, wenngleich leider nicht die Bildungsministerin, dem einiges abgewinnen können.
Bemerkenswert war freilich, dass verschiedene Politiker und Bildungsexperten dieses Konzept (gewollt?) als Zersplitterung des Bildungswesens betrachteten. Auch das Föderalismusinstitut ist der Meinung, dass beispielsweise die Lehrplangestaltung, aber auch Angelegenheiten wie die Festlegung der Eckpfeiler der Schulorganisation (wie bisher) Sache des Bundes sein sollen.
Bei der Schulverwaltung stehen ja die Inhalte des Bildungswesens gar nicht zur Debatte, vielmehr geht es doch lediglich darum, auf welcher Ebene die Verwaltung zusammengeführt wird.
Muss denn wirklich das Bildungsministerium über simpelste dienstrechtliche Angelegenheiten der Lehrer selbst entscheiden oder kann dies im Zeitalter der wirkungsorientierten Verwaltung nicht nach unten verlagert werden? Selbstverständlich sollen dabei auch die Verwaltungskompetenzen der Schulen selbst aufgewertet werden.
Verschiedentlich konnte man sich jedenfalls des Eindrucks nicht verschließen, dass ein PISA-Test bei gewissen Politikern und Bildungsexperten, was das sinnerfassende Lesen betrifft, zu ähnlich vernichtenden Resultaten führen würde, wie bei unseren Schülern!
Im Bereich der Gesundheitsreform lief die Diskussion nicht viel besser. Das Heil wird von vielen Experten in der Zentralisierung gesehen, obgleich wir – und das ist ein wesentlicher Unterschied zum Bildungswesen – über eines der besten Gesundheitssysteme der Welt verfügen.
Tatsächlich besteht im Gesundheitswesen ein erheblicher Abstimmungsbedarf, sowohl zwischen den Ländern als auch zwischen Sozialversicherungsträgern, Ärzten und Krankenanstalten und deren Trägern. Der von Bundesminister Stöger gemachte Vorschlag einer Zentralisierung mit einem einheitlichen Krankenanstaltengesetz löst genau diese Probleme aber nicht. Das Institut für Föderalismus wird dazu in Bälde seine bisherigen Vorschläge (Aufwertung der Landes-Gesundheitsfonds) ergänzen und präzisieren.
Länder-Bashing
Der als solcher wahrgenommene Stillstand in der Verwaltungsreform führte zu einem beachtlichen Länder-Bashing durch einzelne überregionale Medien und selbsternannte Staats- und Verwaltungsreformer, das in dieser Form bisher unbekannt war. Wenngleich auch wir nicht umhin kommen, festzustellen, dass die Länder selbst nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung sind (es wurden zu spät und darüber hinaus zu wenig koordiniert Positionen in der Verwaltungsreform bezogen), so ist das Ausmaß der Kritik bei gleichzeitiger Ausklammerung des Bundes aus dieser Kritik völlig überzogen.
· Den Ländern zu unterstellen, dass sie ausschließlich an Macht und der Erhaltung des status quo interessiert sind, ist unfair und einseitig. Auch auf Bundesebene gibt es genau dieselben Motivationen.
· Was auf Seiten des Bundes passiert, wenn die Länder Vorschläge unterbreiten, hat die Diskussion zur Bildungsverwaltung gezeigt.
· In finanzieller Hinsicht ist es nicht so, dass die Länder das Geld des Bundes verprassen. In der Vergangenheit sind die Länder in den meisten Fällen verantwortungsbewusst mit den ihnen im Wege des Finanzausgleichs zustehenden Mitteln umgegangen. Ihr Defizit war stets wesentlich niedriger als jenes des Bundes. Ihr Anteil an der Gesamtverschuldung des Staates beträgt daher gerade einmal 5 Prozent.
Das Föderalismusinstitut wünscht den Leserinnen und Lesern der Föderalismus-Info alles Gute im neuen Jahr. Es wünscht manchen „Analytikern“ und „Reformern“ mehr Objektivität in der Beurteilung föderalistischer Fragen, den maßgeblichen Akteuren auf der Ebene des Bundes, der Länder und der Gemeinden Offenheit und Diskussionsbereitschaft sowie den Willen zur Veränderung und insbesondere allen Abgeordneten in den österreichischen Landtagen die Erkenntnis, dass sie es sind, die den Nutzen und den Wert des Föderalismus gegenüber der Bevölkerung verdeutlichen müssen.