Der Verfassungsgerichtshof hat am 26. Februar 2011 in einem Zwischenerkenntnis im Streit um den Klinischen Mehraufwand zwischen dem Land Tirol und dem Bund grundlegende Aussagen zur Verbindlichkeit von Vereinbarungen zwischen den Finanzausgleichspartnern über die Abwicklung finanzausgleichsrechtlicher Ansprüche im Allgemeinen sowie über die Abgeltung des laufenden Klinischen Mehraufwandes im Besonderen getroffen, die auch über den Anlassfall hinaus von Bedeutung sind.
Zur Ausgangslage
Nach § 55 KaKuG hat der Bund den sog Klinischen Mehraufwand (darunter werden im Wesentlichen jene Mehrkosten verstanden, die sich bei der Errichtung, Ausgestaltung und Erweiterung sowie beim Betrieb von öffentlichen Krankenanstalten daraus ergeben, dass diese, wie auch das Landeskrankenhaus Innsbruck, zugleich als Universitätskliniken der Lehre und Forschung an Medizinischen Universitäten dienen) zu ersetzen. Nach § 56 KaKuG sind die näheren Vorschriften über diese Kostenersätze durch Verordnung des zuständigen Bundesministers festzulegen. Dieser Verpflichtung sind die zuständigen Bundesminister jedoch seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts bis heute nicht nachgekommen.
Aus diesem Grund haben das Land Tirol und der Bund bereits im Jahr 1950 vereinbart, dass der Bund dem Land Tirol 18 vH der auf Basis der laufenden Betriebsausgaben des Landeskrankenhauses Innsbruck zu ermittelnden Bemessungsgrundlage als laufenden Klinischen Mehraufwand ersetzt, wobei er nach Maßgabe des jeweils vorjährigen Rechnungsabschlusses des Landeskrankenhauses Innsbruck monatliche Akontozahlungen leistet und der endgültige Bundesbeitrag nach Vorliegen des jeweiligen Rechnungsabschlusses ermittelt und abgerechnet wird. Auf Basis dieser – im Jahr 1981 durch eine weitere Vereinbarung ausdrücklich fortgeschriebenen – Vorgehensweise leistete der Bund bis zum Jahr 2006 den Kostenersatz für den laufenden Klinischen Mehraufwand am Landeskrankenhaus Innsbruck vereinbarungsgemäß.
Weil der Bund ab dem Jahr 2007 seine Akontierungen reduzierte, machte das Land Tirol die für dieses Jahr aushaftende Differenz (ca 13,7 Mio Euro) mittels einer auf Art 137 B-VG gestützten Klage vor dem Verfassungsgerichtshof geltend.
Der Bund bestritt sowohl die Aktivlegitimation des Landes als auch seine Passivlegitimation. In der Sache argumentierte der Bund, dass sich die Rahmenbedingungen – vor allem seit dem in dieser Hinsicht mit 1. Jänner 2007 wirksam gewordenen neuen Universitätsgesetz 2002 – dermaßen geändert hätten, dass die ursprünglichen Zahlungs-Vereinbarungen zum Klinischen Mehraufwand obsolet seien.
Zwischenerkenntnis des VfGH
Der Verfassungsgerichtshof hat nun in seinem Zwischenerkenntnis vom 26. Februar 2011 entschieden, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht besteht und in diesem Zusammenhang – in wesentlichen Teilen gestützt auf seine Vorjudikatur (vgl VfSlg 2604/1953, 12.766/1991, 14.079/1995 und 16.064/2000) – über den Anlassfall hinaus wichtige Klarstellungen getroffen.
Insbesondere hat der Verfassungsgerichtshof dabei erstmals ausdrücklich anerkannt (impliziter bereits VfSlg 2604/1953), dass die Finanzausgleichspartner unter näher dargestellten Voraussetzungen wechselseitig bindende Vereinbarungen über die Ermittlung und Abwicklung von finanzausgleichsrechtlichen Ansprüchen treffen können. Solche Vereinbarungen sind öffentlich-rechtlicher Natur und haben die Vermutung der Sachlichkeit und Richtigkeit dahingehend für sich, dass sie dem § 2 F‑VG entsprechen. Sie können durch eine Klage nach Art 137 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof durchgesetzt werden.
Im Einzelnen lassen sich die wesentlichen Aussagen des Verfassungsgerichtshofs wie folgt zusammenfassen:
Zur Zulässigkeit
· Beim Anspruch auf den Ersatz des Klinischen Mehraufwandes handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen vermögensrechtlichen Anspruch, über den in einem Verfahren nach Art 137 B-VG zu entscheiden ist.
· Der Bund ist passiv legitimiert. Dadurch, dass das UG 2002 die konkrete Zahlungsverpflichtung der Medizinischen Universität überbindet, die diese „namens des Bundes“ zu erfüllen hat (§ 33 UG 2002) wird diese vom Gesetzgeber zu einer Zahlstelle des Bundes bestimmt; sie wird dadurch aber nicht Schuldner des Klinischen Mehraufwandes.
· Das Land Tirol ist aktiv legitimiert. Den Ländern kommt eine aufgabengebundene Finanzierungslast der öffentlichen Krankenanstalten im Sinn des § 2 F-VG zu. Die Ausgliederung der Aufgabe der Rechtsträgerschaft an Landeskrankenhäusern, die auch als Universitätsklinik genutzt werden (hier: Ausgliederung des Landeskrankenhauses Innsbruck in die Tiroler Landeskrankenanstalten GesmbH – TILAK) begründet keinen fundamentalen Unterschied in wirtschaftlicher Betrachtungsweise. Soweit durch die Nutzung von Landeskrankenanstalten als Universitätskliniken dem Land Tirol ein Mehraufwand entsteht, ist es daher auch nach Ausgliederung der Krankenanstalten in eine landeseigene Gesellschaft legitimiert, diesen finanzausgleichsrechtlichen Anspruch im Sinn des § 55 KaKuG gegenüber dem Bund geltend zu machen.
In der Sache
· Die klagsgegenständlichen Vereinbarungen betreffen eine Angelegenheit der Vollziehung des Bundes nach § 55 KaKuG und sind daher öffentlich-rechtlicher Natur. Einer Deutung als privatrechtliche Vereinbarung steht der Umstand entgegen, dass sich der Inhalt, nämlich die Festlegung des Kostentragungsschlüssels für den Klinischen Mehraufwand, auf einen öffentlich-rechtlichen Anspruch im Rahmen des § 2 F-VG bezieht.
· Die klagsgegenständlichen Vereinbarungen sind zulässig.
Solange eine
Verordnung des Bundes im Sinne des § 56 KAKuG
nicht erlassen wird und durch die
zuständige Gesetzgebung nichts anderes festgelegt wurde, vermag der Verfassungsgerichtshof kein rechtliches Hindernis dafür zu erkennen, dass sich die beiden betroffenen Gebietskörperschaften ohne Inanspruchnahme des Verfassungsgerichtshofes auf eine
Berechnung des Klinischen Mehraufwandes im Rahmen des § 2 F-VG einigen und darüber auch für die Zukunft eine Vereinbarung schließen, die
– solange nicht eine gesetzliche Änderung der inhaltlichen Vorgaben erfolgt oder die in § 56 KAKuG seit langem vorgesehene Verordnung erlassen wird – eine Grundlage für die Ermittlung des Klinischen Mehraufwands ist. In diesem Zusammenhang stellt der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich klar, dass die
zuständige Gesetzgebung im vorliegenden Fall gerade nicht „anderes“ festgelegt hat, sondern § 55 KaKuG den Anspruch des jeweiligen Landes auf Ersatz des Klinischen Mehraufwandes im Sinn des § 2 F-VG lediglich „
präzisiert“. Weiters bestätigt der VfGH erneut seine Vorjudikatur (vgl insbesondere VfSlg
2604/1953 und VfSlg 12.766/1991), wonach der Klinische Mehraufwand rechnerisch nicht ermittelt werden kann, sodass – auch mangels einer Regelung der Ermittlung in der nach § 56 KaKuG vorgesehenen Verordnung – ein auf Grund bestimmter Unternehmenszahlen der Höhe nach nur nach § 273 ZPO ermittelbarer Anspruch Jahr für Jahr beim Verfassungsgerichtshof nach Art 137 B-VG gerichtlich geltend gemacht und dort entweder durch Vergleich zwischen den Parteien geregelt oder – wie schon in der Vergangenheit – vom Verfassungsgerichtshof unter Zuhilfenahme von Sachverständigen, letztlich aber in Anwendung des § 273 ZPO festgesetzt werden müsste.
· Einer unter Ausgleich der gegensätzlichen finanziellen Interessen zur Durchführung des § 2 F-VG geschlossenen Vereinbarung über die Ermittlung und Abwicklung finanzausgleichsrechtlicher Ansprüche kann im Zweifel unterstellt werden, dass die damit gegebene Willensübereinstimmung zwischen den Partnern des Finanzausgleiches eine Sachlichkeits- und Richtigkeitsgewähr dahin indiziert, dass diese Vereinbarung dem § 55 KAKuG und damit dem § 2 F-VG entspricht.
· Finanzausgleichsrechtliche Regelungen der hier vorliegenden Art, nach denen eine Partei (hier: das Land Tirol) ihre Leistungen im Voraus zu erbringen hat, können zudem nicht rückwirkend, sondern nur durch Auflösungserklärung einer Partei ex nunc geändert werden.
· Das UG 2002, namentlich dessen §§ 29 und 33, deren Normadressat die Medizinischen Universitäten sind, berührt den finanzausgleichsrechtlichen Anspruch des Landes gegen den Bund auf Ersatz des Klinischen Mehraufwandes nach § 55 KaKuG nicht und hat daher auch keinen Einfluss auf die Verbindlichkeit der klagsgegenständlichen Vereinbarungen.
Dieser Beitrag wurde dankenswerterweise von Herrn Dr. Christian Ranacher, Abteilung Verfassungsdienst des Amtes der Tiroler Landesregierung, verfasst.