27.11.2011
Föderalismus Info 5/2011
Unter dem Druck einer befürchteten Herabstufung der Kreditwürdigkeit Österreichs durch internationale Ratingagenturen hat sich die Regierung entschlossen, eine Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern. In der Umsetzung hapert es derzeit noch. Zum einen fehlt die Zustimmung einer Oppositionspartei für die notwendige Verfassungsänderung, zum anderen gibt es auch inhaltliche Kritikpunkte. Aus föderalistischer Sicht kritisch sind etwa der Alleingang des Bundes ohne Abstimmung mit den ebenfalls betroffenen Ländern und Gemeinden sowie die verpflichtende Übernahme des Haushaltsrechts des Bundes. Abzulehnen ist, dass ausschließlich der Nationalrat entscheiden darf, ob ein Land etwa im Fall von Naturkatastrophen ein Defizit eingehen darf. Auch die Mithaftung der Gebietskörperschaften ist genauso kritisch, weil sie jene bestraft, die sorgfältig wirtschaften.
- Regelungen, welche Defizite von den Gebietskörperschaften zu erreichen sind, sollten partnerschaftlich und einvernehmlich im Vereinbarungswege erarbeitet und nicht einseitig vom Bund diktiert werden.
- Die im Entwurf vorgesehenen Änderungen enthalten auch haushaltsrechtliche Vorgaben, die zur Erreichung des Ziels eines ausgeglichenen Haushaltes nicht notwendig sind. So sollen in Hinkunft die Budgets der Länder als "Landesfinanzgesetze" beschlossen werden. Diese bundesverfassungsrechtliche Vorgabe, in welcher Form die Länder ihre jährlichen Budgets beschließen, stellt eine unnötige Einschränkung der Verfassungsautonomie der Länder dar.
- Länder und Gemeinden sollen verpflichtet werden, das Haushaltsrecht des Bundes zu übernehmen. Das ist völlig unnotwendig, zumal die zweite Etappe des neuen Haushaltsrechts des Bundes mit der Umstellung auf die Doppik erst 2013 verwirklicht wird und keinerlei Erfahrungen mit dem neuen Haushaltsrecht vorliegen. Warum sollten die Länder nicht selbst entscheiden können, wie sie ein ausgeglichenes Budget erreichen.
- Völlig abzulehnen ist auch die im Entwurf vorgesehene Bestimmung, dass ausschließlich der Nationalrat entscheiden soll, dass im Falle von Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen die Defizitgrenzen von Bund und Ländern überschritten werden können. Warum soll der Nationalrat darüber entscheiden, wie zB das Land Tirol im Falle einer Hochwasserkatastrophe sein Landesbudget in den Griff bekommt und gegebenenfalls überschreiten muss. Eine Erlaubnis in Wien einzuholen ist mit der Budgethoheit des Landtages jedenfalls nicht vereinbar. Die Verantwortung für eine unbegründete Überschreitung der Defizitgrenzen trägt ja ohnehin das Land und nicht der Nationalrat.
- Auch die vorgesehene Mithaftung der Gebietskörperschaften (hier vor allem der Länder) für EU-rechtliche Sanktionen ist abzulehnen. Hier würden ja jene bestraft, die sich um die Einhaltung der Defizitgrenzen bemühen und müssten solidarisch für jene einstehen, die quasi "in Saus und Braus leben". In diesem Zusammenhang ist auf die mittlerweile vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehobene "Rettungsaktion zu Gunsten der Wiener Gebietskrankenkasse" durch das Budgetbegleitgesetz 2009 hinzuweisen.
Der Verwirklichung des Vorhabens der Bundesregierung betreffend die Einführung der Schuldenbremse in Österreich ist nicht nur aus föderalistischer Sicht mit besonderer Aufmerksamkeit und Interesse entgegen zu sehen.
Durch die Novelle des Immissionsschutzgesetzes-Luft im Jahr 2001 (BGBl I Nr 62/2001) wurden in Österreich wesentlich strengere Grenzwerte für die Konzentration von Luftschadstoffen festgelegt, als dies die europarechtlichen Vorgaben vorsehen. Im November wurden an vielen Orten diese zulässigen Grenzwerte überschritten. Der zuständige Umweltminister BERLAKOVICH hat die Länder dafür verantwortlich gemacht und sich für nicht zuständig erklärt. Das Institut für Föderalismus erlaubt sich darauf hinzuweisen, dass die Landeshauptleute in mittelbarer Bundesverwaltung (also unter Verantwortung des Bundesministers) für die Vollziehung zuständig sind. Es ist also wenig hilfreich, die Verantwortung für die Vollziehung des IG-Luft an die Länder abzuwälzen. Selbstverständlich sind die Landeshauptleute gefordert, jene Maßnahmen zu ergreifen, die das Gesetz von ihnen verlangt. Der Bundesminister ist aber verfassungsrechtlich sehr wohl in der Lage, die entsprechenden Maßnahmen auch durchzusetzen.
Die Diskussion über Gemeindefusionen, die laut verschiedenen Expertenmeinungen zu Effizienzsteigerungen und Einsparungen führen soll, wurde in den vergangenen Jahren in vielen europäischen Ländern geführt. Auch in Österreich reißt die Diskussion nicht ab. Zusätzliche Brisanz erhält das Thema durch die jüngsten Volksbefragungen in der Steiermark, bei denen Gemeindezusammenlegungen von der Bevölkerung klar (87 %) abgelehnt wurden. Ein Blick in die verfügbare wissenschaftliche Literatur über die internationalen Erfahrungen mit Gemeindezusammenlegungen zeigt ein differenziertes Bild: Es gibt letztlich keine optimale Gemeindegröße, zu unterschiedlich sind die jeweiligen Voraussetzungen. Erhoffte Einsparungen und Effizienzsteigerungen ließen sich kaum realisieren, die Gefahr des Verlusts von zivilgesellschaftlichem Engagement ist nicht zu unterschätzen.
Argumente in der Theorie für Gemeindefusionen:
gegen Gemeindefusionen:
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Land
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Durchschnittliche Gemeindegröße nach EW
|
Median
nach EW
|
Gemeinden mit weniger als 5.000 EW in % aller Gemeinden
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Vereinigtes Königreich
|
137.000
|
119.500
|
0
|
Schweden
|
30.800
|
15.500
|
3
|
Niederlande
|
29.200
|
14.400
|
10
|
Dänemark
|
19.200
|
10.700
|
7
|
Belgien
|
17.000
|
11.500
|
17
|
Italien
|
7.200
|
2.300
|
73
|
Deutschland
|
4.800
|
1.400
|
86
|
Österreich
|
3.408
|
1.554
|
91
|
Schweiz
|
2.600
|
900
|
90
|
Frankreich
|
1.600
|
1.100
|
95
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Soeben ist im Neuen Wissenschaftlichen Verlag der von BIWALD/BUSSJÄGER/PITLIK/ SCHRATZENSTALLER herausgegeben Band „Koordinierung der Finanzpolitik im Bundesstaat. Stabilitätspolitik – Finanzausgleich – Verschuldungsgrenze“ erschienen. Dieser Band enthält die – teilweise erweiterten – Referate, die bei der vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung, dem Institut für Föderalismus und dem KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung gemeinsam mit der Kommunalkredit AG am 7. April 2011 in Wien durchgeführten Tagung gehalten wurden. Dabei wurden wichtige Themen zur Koordinierung der Finanzpolitik auf europäischer und nationaler Ebene behandelt. Der besonders aktuelle Band enthält nach einleitenden Impulsreferaten der Veranstalter Beiträge zur Koordinierung der Finanzpolitik, zur Reform des Finanzausgleichs und – derzeit besonders aktuell – zur Schuldengrenze als Teil der Stabilitätspolitik. Das Buch (ISBN 978-3-7083-0805-0) ist ab sofort im Buchhandel erhältlich.