Über das Elend der deutschen Kommunalfinanzen – ein echt föderales Problem

von Gisela Färber, 04.12.2025

Nach einigen guten Jahren und Jahren mit größeren Zuweisungen in der Folge von Krisenfinanzierungen schlagen die deutschen Kommunen in diesem Jahr Alarm: ihre Haushalte weisen die größten Defizite aller Zeiten auf. Ursachen sind neben den durch die Wachstumsschwäche bedingten Mindereinnahmen insb. bei der Gewerbesteuer, partiell jedoch auch bei der angeblich aufkommensneutral finanzierten Grundsteuerreform vor allem die seit Jahrzehnten ständig steigenden Ausgaben für Sozialleistungen und Jugendhilfe. Letztere gehen fast ausschließlich auf Bundesrecht, zu einem geringeren Teil auch auf Landesrecht zurück und sind den Kommunen verpflichtend zum Vollzug aufgegeben. Hier sind insb. das Bundesteilhabegesetz, weitere Leistungen der Eingliederungshilfe und die Ausweitung der Zahl der Leistungsberechtigten und der Qualitätstandards von KiTa-Leistungen zu nennen. Ab 2026 kommen Aufwendungen für den garantierten Ganztagsbetrieb im Grundschulbereich hinzu. Schließlich werden die bundesrechtlichen Vorschriften an Genehmigungs- und andere verwaltungsrechtliche Verfahren immer komplexer mit der Folge von steigendem Personalbedarf bei gleichzeitig wachsenden Verfahrensdauern.

Auch Rechnungshöfe konstatieren den Kommunen inzwischen ein Ausgabenproblem, für das sie zum überwiegenden Teil gar nicht verantwortlich sind. Dieses liegt nämlich fast ausschließlich im Bereich der pflichtigen Aufgaben, während die Finanzierungsspielräume für Investitionen zum Erhalt und zur Modernisierung der kommunalen Infrastruktur und für freiwillige Aufgaben nicht nur auf Null schrumpfen, sondern nachgerade ins Negative umschlagen. Dieser Zustand widerspricht zweifellos der in Art. 28 GG geschützten kommunalen Selbstverwaltungsgarantie und bedarf schnell der Abhilfe.

Das Problem der kommunalen Unterfinanzierung ist freilich nicht so neu wie die jüngsten finanziellen Defizite, sondern seit Jahrzehnten chronisch angelegt und ein echtes Problem der föderalen Finanzverfassung. Nach dem Grundgesetz sind die Kommunen in Deutschland die unterste Verwaltungsebene. Die Gesetzgebungskompetenz ist weitgehend auf den Bund zentralisiert, während den Ländern der Vollzug der Gesetze zugewiesen ist. Letztere delegieren den Verwaltungsvollzug vielfach auf ihre Kommunen, die diesen in eigener Verantwortung und unter Nutzung örtlicher ‚economies of scope‘ (Bündelungsvorteile) organisieren und mit den ihnen zugewiesenen Ressourcen finanzieren. Wachsen die pflichtigen Ausgaben und bleiben die Steuereinnahmen sowie die aus dem Steuerverbund mit den Ländern (= kommunaler Finanzausgleich) dahinter zurück, findet zunächst ein „Ausgleich“ innerhalb der Kommunalhaushalte zulasten der Investitionen und der freiwilligen Aufgaben statt. Diesen Erosionsprozess erleben viele Städte, Gemeinden und Landkreise bereits seit den späten 1990er und 2000er Jahren. Die Kosten der deutschen Einheit und danach die schlechte Wirtschaftsentwicklung belasteten die kommunalen Haushalte, die ihre Investitionshaushalte als „Sparkasse“ nutzen mussten. Real liegen die Investitionsausgaben in Ostdeutschland trotz der relativ guten Jahre nach 2013 bei etwa der Hälfte von 1995, in Westdeutschland wurde das Niveau von 1995 erstmals 2021 wieder erreicht, wobei auf die großen Unterschiede zwischen den Kommunen in den finanzstarken und den finanzschwachen Ländern hinzuweisen ist. Der Anteil der investiven Ausgaben an den bereinigten Ausgaben liegt bei nur noch etwa der Hälfte von vor 30 Jahren. Bessere Indikatoren als diese können den Verfall der kommunalen Infrastruktur, die heute auch das wirtschaftliche Wachstum belastet, nicht illustrieren.  

Kommunale Investitionsausgaben je Einwohner in Preisen von 1995


Kommunale Investitionsausgaben je Einwohner in Preisen von 1995       
(Daten: Stat. Bundesamt; eigene Berechnungen)

Die Ursache des Debakels liegt in der deutschen Finanzverfassung. Danach trägt die Ebene die Ausgaben, die für eine Aufgabe verantwortlich ist. Gesetzgebung selbst kostet quasi nichts, der teure Vollzug geht zu Lasten von Ländern und ihren Kommunen. Zwar werden mittlerweile die Kommunen in allen Ländern durch ein verfassungsrechtlich verankertes Konnexitätsprinzip vor Aufgabenübertragungen ohne Mehrbelastungsausgleich geschützt, jedoch gilt dies nur für Länderrecht, nicht für Bundes- und Europarecht. Und manche Länder setzen inzwischen Bundesrecht einfach nicht mehr in landesrechtliche Vorschriften um, um den Konnexitätsfolgen zu entgehen. Wenn sie denn den Konnexitätsfall selbst annotieren und nicht die Kommunen zwingen, diese gerichtlich einzuklagen …

Anteil der Investitionsausgaben der Kommunen an den bereinigten Ausgaben


Anteil der Investitionsausgaben der Kommunen an den bereinigten Ausgaben
(Daten: Stat. Bundesamt; eigene Berechnungen)

Der finanzielle Schutz von Ländern und ihren Kommunen könnte allerdings auch über Art. 106 Abs. 4 GG erfolgen, der vorsieht, dass der vertikale Verteilungsschlüssel bei der Umsatzsteuer dann geändert werden muss, „wenn sich das Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder wesentlich anders entwickelt“. Die kommunalen Einnahmen und Ausgaben werden hier als Teil der Länder betrachtet. Festgestellt wird dies mit dem sog. Deckungsquotenverfahren, welches Einnahmen der beiden staatlichen Ebenen und ihre „notwendigen“ Ausgaben miteinander vergleicht. Die Unterscheidung zwischen notwendigen und nicht-notwendigen Ausgaben ist allerdings kaum zu bewerkstelligen, selbst bürokratieaufwendige Förderprogramme zur Anfinanzierung von neuen und aufwendigeren Aufgaben für Kommunen unterfallen dieser Kategorie. Und Bund und alle Länder werden kaum darauf verzichten, Ausgaben „bis zum Kragenknöpfchen“ ihrer Einnahmekapazitäten zu tätigen, wenn die Folge von weniger Ausgaben der Verlust von Steueranteilen ist. Die Länder können ihre Kommunen hingegen in die Haushaltdisziplin zwingen, indem sie ihnen die Haushaltsgenehmigung verweigern und massive Einsparungen zum Haushaltsausgleich und erst recht zur Sanierung überschuldeter Haushalte verlangen. Es findet also ein absolut unfaires Spiel zu Lasten der Kommunen statt, zumal bei vielen Transferleistungen des Bundes auch größere Summen an den „klebrigen Händen“ der Länder hängen bleiben. Politökonomisch ist die Situation der Kommunen noch schlimmer als die des berühmten „market of lemons“, denn es handelt sich nicht nur um asymmetrische Informationen, die ein optimales Ergebnis verhindern, sondern um eine ungleiche Machtverteilung zwischen den föderalen Ebenen des deutschen Bundesstaats.

Dass die fatale Situation durch den Verfall und die unzureichende Modernisierung der kommunalen Infrastruktur so nicht länger hingenommen werden kann, ist sowohl wirtschaftspolitisch nötig, als auch demokratiepolitisch unabdingbar, wenn gerade Kommunen, die keine Mittel zum Erhalt von Stadt- und Lebensquartieren mehr haben, die höchsten Stimmenanteile für extremistische Parteien aufweisen. Sollte es keine Einigung zwischen Bund und Ländern zur sog. Veranlassungskonnexität geben, sind die Kommunen im Zweifel auf den Gerichtsweg angewiesen. Der könnte allerdings Jahre dauern, das ist einfach zu lang. Extrem fragwürdig sind auch Vorschläge von Vertretern und Beratern des Bundes, den Kommunen Vollzugsaufgaben (zugunsten eines noch zweifelhafteren Bundesvollzugs!) wegzunehmen, um sie zu „entlasten“. 

Neben einer für den Vollzug von Bundes- und Landesrecht so wichtigen überzeugenden Digitalisierungspolitik auch und gerade für die Kommunen scheint als einzig gangbarer Weg die Einführung der Veranlassungskonnexität in Frage zu kommen, wie dies der Koalitionsvertrag der Bundesregierung schon vorsieht. Der Teufel steckt aber hier wie so oft im Detail, denn um Konzepte haben sich die politisch Verantwortlichen bislang wenig gekümmert. Wie wird die Höhe der Mehrbelastung empirisch belastbar festgestellt? Was sind die Ursachen von horizontal feststellbaren Belastungsunterschieden? Wo sind die Stellschrauben bei Veränderungen von Fallzahlen und Ausgabenbelastungen im Zeitablauf? Welches sind die Ausgleichsinstrumente? Vorzugsweise doch solche, die für die kommunalen Haushalte unmittelbar – d.h. ohne den Umweg über die Länderhaushalte! – finanzwirksam werden und die ihnen den größtmöglichen Autonomiegrad bei der Verwendung, insb. zugunsten effizienter Vollzugsorganisationen eröffnen. Bei den verschiedenen Ausgleichsverfahren sind zudem deren Auswirkungen auf den Länderfinanzausgleich und die kommunalen Finanzausgleiche zu berücksichtigen. Je größer die interföderale Verflechtung, umso komplexer die Folgen von Änderungen und umso schwieriger die Reformprozesse selbst, das ist eine Binse, auf die aber niemand wirklich vorbereitet ist.

Österreich hat sich ähnlichen Problemen der vertikalen Finanzverteilung mit Hilfe des Konsultationsmechanismus genähert und zumindest eine Art „Burgfrieden“ geschaffen. Das scheint für Deutschland angesichts der derzeitigen und mit Sicherheit weiterwachsenden Anspannung aller öffentlichen Haushalte kaum mehr möglich, es müssen grundlegendere Reformen her. Deutschland benötigt eine fundamentale Umstrukturierung aller öffentlichen Haushalte, um den demografischen Wandel, die Kriegs- bzw. besser: die Verteidigungstüchtigkeit nicht nur im Militär, sondern auch in der kommunalen Infrastruktur sowie die Bewältigung des Klimawandels zu gewährleisten. Den Umbau der Finanzverfassung zugunsten einer aufgabenangemessenen Finanzierung aller – im funktionalen Sinn – drei föderalen Ebenen zu sichern, dürfte zu den wichtigsten Voraussetzungen guter Entscheidungen in den materiellen Politikfeldern gehören. 

Informationen zu Gisela Färber



Gisela FärberProf. Dr. Gisela Färber ist eine renommierte Expertin der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften und des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind mitunter Finanzverfassungen und Föderalismus.

faerber@uni-speyer.de

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