Föderalismus am Beispiel der Waldbetretung und des Waldaufenthalts

von Jonas Kaschka, 08.08.2024

Wer wissen möchte, ob sein Aufenthalt im Wald und das Betreten desselben rechtmäßig sind, muss weitaus mehr Bestimmungen als jene des Forstgesetzes 1975 (ForstG) berücksichtigen. Maßgebend hierfür sind nämlich sämtliche Bestimmungen in Bundes- und Landesgesetzen, sodass die Rechtslage im Hinblick auf die Waldbetretung und den Waldaufenthalt äußert komplex sein kann. Dass dies kein Missstand ist, sondern als Musterbeispiel eines lebendigen Föderalismus in Österreich betrachtet werden kann, zeigt die kürzlich in der Schriftenreihe Verwaltungsrecht erschienene Monografie „Waldbetretung und Waldaufenthalt – ein Recht und seine Schranken“. Die Arbeit basiert auf der an der Universität Innsbruck eingereichten und mit dem Föderalismus-Preis 2024 ausgezeichneten Dissertation „Das Betretungsrecht des Waldes und seine Grenzen“. Mit Vollständigkeitsanspruch werden darin alle Bestimmungen in Materiegesetzen von Bund und Ländern, die den Waldaufenthalt und die Waldbetretung allgemein oder unter punktuellen Aspekten regeln, dargestellt, ausgelegt und insbesondere auf ihre Vereinbarkeit mit der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung untersucht. Im Folgenden werden die föderalistischen Aspekte der Arbeit in gebotener Kürze dargestellt.

 

(Relative) Waldöffnung als Ausgangslage

Die Regelung des Rechts zum freien Betreten des Waldes fällt laut VfGH (VfSlg 10.292/1984) ausdrücklich unter den Kompetenztatbestand „Forstwesen“ (Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG) und somit in die Zuständigkeit des Bundes. Dementsprechend normiert § 33 Abs 1 ForstG für das gesamte Bundesgebiet, dass jedermann Wald zu Erholungszwecken betreten und sich dort aufhalten darf, was auch als sog „Waldöffnung“ bezeichnet wird.

Die durch § 33 Abs 1 ForstG statuierte Regel der freien Betretbarkeit des Waldes kann aus vielerlei Gründen nicht uneingeschränkt gelten und ist insofern keineswegs allgemeingültig. Die Waldöffnung nach § 33 Abs 1 ForstG wird zunächst durch einschlägige forstgesetzliche Bestimmungen (§ 33 Abs 2 und 3 sowie § 34 ForstG) relativiert. Das Prinzip der freien Betretbarkeit des Waldes wird aber auch durch zahlreiche Betretungsbeschränkungen in anderen Bundes- und Landesgesetzen durchbrochen, was hauptsächlich in der Tatsache begründet ist, dass Waldgebiete oft noch weitere rechtliche Eigenschaften aufweisen. So kann Wald zugleich auch Naturschutzgebiet, Nationalparkgebiet, militärisches Sperrgebiet, Katastrophengebiet oder Wildschutzgebiet sein. Dass das forstrechtliche Betretungs- und Aufenthaltsrecht in diesen Gebieten unter Umständen eingeschränkt werden muss, liegt auf der Hand. Fraglich ist allerdings, wer in solchen Fällen für entsprechende Betretungsbeschränkungen zuständig ist, und wie diese mit der Waldöffnung nach § 33 Abs 1 ForstG vereinbar sind.

 

Betretungsregelungen unter verschiedenen kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten

Wie die Untersuchungen der Arbeit gezeigt haben, können die eben aufgeworfenen Fragen durch Anwendung der vom VfGH entwickelten Gesichtspunktetheorie gelöst werden. Diese besagt, dass bestimmte Lebenssachverhalte von verschiedenen Gesetzgebern unter verschiedenen Gesichtpunkten geregelt werden dürfen, wobei die Gesetzgeber aller Gebietskörperschaften stets das verfassungsrechtliche Berücksichtigungsprinzip in wechselseitiger Anwendung zu beachten haben.

Im Gegensatz zur generellen Öffnung des Waldes, die laut VfGH ausschließlich dem Bundesgesetzgeber zur Disposition steht, können Betretungsverbote oder -beschränkungen im Wald im Sinne der Gesichtspunktetheorie sehr wohl unter verschiedenen kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten geregelt werden. So können etwa Betretungsverbote für die Dauer von Treib-, Riegel- oder Drückjagden aus dem Gesichtspunkt der Jagdwirtschaft, Betretungsverbote zum Schutz von Naturschutzgebieten aus dem Gesichtspunkt des Naturschutzes oder Betretungsverbote von Katastrophengebieten aus dem Gesichtspunkt des Katastrophenschutzes geregelt werden. Da diese Gesichtspunkte nicht von einem dem Bundesgesetzgeber zukommenden Kompetenztatbestand des B-VG erfasst sind, fallen sie gemäß Art 15 Abs 1 B-VG in den Regelungsbereich der Landesgesetzgeber, sodass die angesprochenen Betretungsverbote auch in den entsprechenden Jagd-, Naturschutz- und Katastrophengesetzen der Länder statuiert werden.

 

Komplexe Rechtslage nicht dem Föderalismus anzulasten

Die Gesichtspunktetheorie führt im Ergebnis dazu, dass die österreichische Rechtsordnung zahlreiche Regelungen betreffend das Betreten und Aufhalten im Wald vorsieht, die auf eine Vielzahl unterschiedlicher Verwaltungsmateriegesetze von Bund und Ländern verteilt sind. Dass die Rechtslage im Wald dadurch oft schwer zu beurteilen und weitaus komplexer ist, als die Bestimmung des § 33 ForstG vermuten lässt, ist jedoch keineswegs dem Föderalismus anzulasten. Betretungsregelungen für den Wald werden von Bund und Ländern nämlich auch innerhalb ihrer Kompetenzen je nach Verwaltungsmaterie in unterschiedlichen Landes- bzw. Bundesgesetzen normiert, sodass die Komplexität der Rechtslage nicht bloß auf die föderale Kompetenzverteilung bzw der Tatsache, dass auch Länder Betretungsregelungen für Wald vornehmen können, zurückzuführen ist. So sieht der Bundesgesetzgeber selbst umfangreiche Ausnahmen vom – von ihm selbst statuierten – Grundsatz der Waldöffnung vor und regelt diese je nach Regelungsmaterie in unterschiedlichen Bundesgesetzen. Beispielsweise werden Betretungsverbote zum Schutz von Wasserversorgungsanlagen (§ 34 WRG) aufgrund ihres starken Sachbezugs zum Wasserrecht innerhalb dieser Rechtsmaterie – eben dem Wasserrechtsgesetz – geregelt, und zwar auch dann, wenn Waldflächen betroffen sind. Weitere Beispiele auf Bundesebene lassen sich im Sperrgebietsgesetz, im Militärbefugnisgesetz, im Eisenbahngesetz, im Waffengesetz, im Sicherheitspolizeigesetz, im Epidemiegesetz oder etwa im Tierseuchengesetz finden, welche allesamt einschlägige Betretungsbeschränkungen oder diesbezügliche Verordnungsermächtigungen enthalten und grundsätzlich auch Waldgebiete betreffen können. Dass die Waldbetretung und der Waldaufenthalt in vielen Materiegesetzen unter verschiedenen Aspekten, die wiederum Verschiedenes verlangen, geregelt werden, ist daher weniger auf den Föderalismus, als vielmehr darauf zurückzuführen, dass die Regelungsgegenstände „Wald“ und „Betreten“ komplexe Materien sind, die unter mehreren Gesichtspunkten betrachtet werden können.

 

Lokalisierung von Betretungsregelungen im Lichte des allgemeinen Sachlichkeitsgebots

Die Zerstreuung von Betretungsregelungen in unterschiedlichen Verwaltungsmateriegesetzen von Bund und Ländern mag aus Sicht der Waldbetretung den Überblick erschweren, ist jedoch auf Unterschieden im Tatsächlichen und damit letztlich auf das allgemeine Sachlichkeitsgebot zurückzuführen. Die jeweiligen Betretungsverbote unterscheiden sich nämlich vor allem in ihren Regelungszielen grundlegend voneinander. Diese reichen vom Schutz der Natur über die Gewährleistung flächendeckender Jagdbewirtschaftung bis hin zur Sicherstellung ungestörter Katastrophenbekämpfung. Entsprechende Betretungsverbote sind deshalb auch je nach Verwaltungsmaterie differenziert zu regeln, sodass beispielsweise Betretungsbeschränkungen in Nationalparkgebieten in entsprechenden Nationalparkgesetzen und nicht willkürlich in Jagdgesetzen zu lokalisieren sind.

 

Zentralisierung keine Lösung

Hinter dem Wunsch nach übersichtlichen Betretungsregelungen steht nicht selten die irrtümliche Vorstellung, dass die Waldbetretung und der Waldaufenthalt in einem einzigen Materiegesetz abschließend geregelt werden könnten. Allein die Betretungsbeschränkungen im Wald – von Wegegeboten in Naturschutzgebieten bis hin zu Betretungsverboten von militärischen Sperrgebieten – könnten jedoch unmöglich auch nur ansatzweise in einem einzigen Materiegesetz geregelt werden. Selbst die Übertragung einer Art „Wegekompetenz“ an den Bund in Form einer Gesamtzuständigkeit für das Betretungsrecht im Wald wäre keineswegs zielführend: Sämtliche Aspekte des Betretens von Wald müssten aus den Landeskompetenzen „herausgeschält“ werden, was insbesondere die Jagd- und Naturschutzkompetenzen der Länder sinnentleeren würde, da die Landesgesetzgeber keine Betretungsverbote von Waldgebieten mehr verfügen könnten. Die Ausweisung eines Naturschutz-, Nationalpark- oder Wildschutzgebietes wäre zulässig, die Verordnung der hierfür notwendigen Betretungsbeschränkungen – sofern Waldflächen betroffen sind – jedoch nicht. Am Beispiel der Waldbetretung und des Waldaufenthalts lassen sich insofern auch allgemeine Grenzen der Zentralisierung aufzeigen.

Informationen zu Jonas Kaschka



Jonas KaschkaDr. Jonas Kaschka ist Universitätsassistent am Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre an der Universität Innsbruck. Seine Dissertation „Das Betretungsrecht des Waldes und seine Grenzen“ wurde mit dem Preis für Föderalismus- und Regionalforschung 2024 ausgezeichnet.

jonas.kaschka@uibk.ac.at

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