Die Reform der Südtirol-Autonomie zwischen Wiederherstellung und Weiterentwicklung
von Univ.-Prof. MMag. Dr. Esther Happacher, 13.06.2025Seit geraumer Zeit laufen Bemühungen, die Südtirol-Autonomie, welche in den letzten Jahrzehnten teilweise einschneidende Einschränkungen in Gesetzgebung und Verwaltung zu verzeichnen hat, wiederherzustellen. Der 1992 in Ausführung des Gruber-Degasperi-Abkommens von 1946 völkerrechtlich einvernehmlich festgelegte Schutzstandard des Autonomieregimes wurde insbesondere durch eine Reihe von zentralistisch geprägten Urteilen des Verfassungsgerichtshofs in Zusammenhang mit der Verfassungsreform von 2001 beeinträchtigt. 2022 erklärte Ministerpräsidentin Meloni in ihrer Regierungserklärung die Bereitschaft, “die Autonomiestandards, die 1992 zur Streitbeendigungserklärung vor den Vereinten Nationen geführt haben“ wiederherzustellen.
In der Folge wurde im Rahmen einer Arbeitsgruppe aus Vertretern des Staates, Südtirols und des Trentino auf Regierungsebene ein Verfassungsgesetzentwurf zur Änderung des Autonomiestatuts für die Region Trentino-Südtirol ausgearbeitet, der Anfang April 2025 im Ministerrat in vorläufiger Fassung genehmigt wurde. Im Anschluss daran wurde der Entwurf an den Südtiroler und den Trentiner Landtag sowie an den Regionalrat (bestehend aus den Landtagen) zur im Autonomiestatut vorgesehenen, nicht bindenden Stellungnahme übermittelt.
Für die Südtiroler Vertreter als treibende Kraft der Änderungen standen in den Verhandlungen zwei Themen im Mittelpunkt: die Wiederherstellung der durch die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs eingeschränkten Kompetenzen und die bessere Absicherung der Autonomie durch die Verankerung einer Einvernehmensklausel für Änderungen des Statuts. Auch sollte die Gelegenheit ergriffen werden, um die durch die Verfassungsreform von 2001 obsolet gewordene Präventivkontrolle über die Landes- und Regionalgesetze aus dem Statut zu entfernen. Es ging nicht um eine umfassende Reform des Autonomiestatuts, wie sie 2016-17 im Autonomiekonvent in partizipativer Weise diskutiert worden war. Auch die Anpassung an die Verfassungsreform von 2001 war nicht Ziel - einer Reform, die theoretisch nur positiv für die Sonderautonomie wirken sollte, in der Praxis aber durch zentralistische staatliche Regelungen und Verfassungsrechtsprechung häufig einschränkend war (und ist).
Die Wiederherstellung der Kompetenzen und zugleich deren zukünftige bessere Absicherung sollen durch drei Elemente erreicht werden: die Verringerung der Schranken der autonomen Gesetzgebung, eine klarere, auch ergänzende Formulierung von Sachbereichen der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeiten der autonomen Provinzen und die Stärkung der Rolle der Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut.
Hinsichtlich der Verringerung der Schranken der autonomen Gesetzgebung (zugleich auch die Schranken der Verwaltungsautonomie) ist die Schranke der grundlegenden Normen der (staatlichen) wirtschaftlich-sozialen Reformen gefallen, die in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs zur umfassenden Aushöhlung autonomer Zuständigkeiten geführt hat. Als Beispiel sei die ausschließliche Zuständigkeit im Bereich der öffentlichen Aufträge angeführt, für die der gesamte staatliche Kodex als grundlegende Normen wirtschaftlich-sozialer Reform gilt, von denen keine Abweichung möglich ist. Nicht erreicht werden konnte die Streichung der nationalen Interessen als Schranke der Autonomie. Allerdings ist diese Schranke in der Verfassung seit 2001 nicht mehr vorhanden und nach wie vor durch den Hinweis qualifiziert, dass der Schutz der örtlichen sprachlichen Minderheiten als nationales Interesse gilt.
Eine Reihe von Sachbereichen der (nunmehr ausdrücklich als ausschließlich bezeichneten) Gesetzgebungskompetenzen Südtirols sind zukünftig derart formuliert, dass sie Aspekte (wieder)erfassen, die bis zu Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs als selbstverständlich in ihren Anwendungsbereich fallend galten. Darunter finden sich: die Regelung der Arbeitsverhältnisse und der Tarifverhandlungen im Bereich des Personals; Raumordnung im umfassenden Sinn; Übernahme, Organisation, Betrieb und Regelung öffentlicher Dienstleistungen im Interesse des Landes einschließlich der Abfallbewirtschaftung. Die neu hinzukommende Zuständigkeit zum Schutz der Umwelt und des Ökosystems einschließlich des Wildtiermanagements verankert ausdrücklich eine Kompetenz, die Südtirol bis zur Verfassungsreform 2001 auf der Grundlage seiner Zuständigkeiten (Landschaftsschutz, Gesundheitswesen, Raumordnung, Landwirtschaft, Jagd …) jahrzehntelang autonom in Gesetzgebung und Verwaltung wahrgenommen hat.
Eine wichtige Klarstellung erfolgt hinsichtlich der Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut. Diese im Wege des Verhandlungsprinzips zwischen Staat und Sonderautonomie entstehenden Normen haben ausführende und ergänzende Natur zum Statut. In Zukunft sollen sie ausdrücklich auch Bestimmungen zur Harmonisierung der Ausübung der Gesetzgebungsbefugnisse zwischen Sonderautonomie und Staat enthalten können, stets unter Berücksichtigung der besonderen Bedingungen der Sonderautonomie. Damit können die Reibungsflächen zwischen staatlicher und autonomer Gesetzgebung und die daraus entstehenden Konflikte auch vor dem Verfassungsgerichtshof verringert werden.
Die Einvernehmensklausel zielt darauf ab, jegliche Änderung des Sonderstatuts auf innerstaatlicher Ebene an ein Einvernehmen mit den Landtagen (und dem Regionalrat) zu koppeln. Es gelang in den Verhandlungen zwar nicht, ein Vetorecht durchzusetzen. An die Stelle der bisher vorgesehenen, nicht bindenden Stellungnahme durch die Landtage und den Regionalrat wird jedoch im Gesetzgebungsprozess in den Kammern nach der ersten Abstimmung (Verfassungsgesetze müssen zweimal in jeder Kammer beschlossen werden) ein mit absoluter Mehrheit zu erteilendes Einvernehmen der autonomen Gesetzgebungsorgane treten. Sollte es nicht zustande kommen, können die Kammern die Änderung mit absoluter Mehrheit und nur unbeschadet des bereits anerkannten Autonomiestandards beschließen, was das erreichte Schutzniveau innerstaatlich festschreibt.
Von den Vertretern der italienischen Sprachgruppe in der Arbeitsgruppe wurden mit Erfolg auch Forderungen in Bezug auf Minderheitenschutzbestimmungen erhoben, darunter die Reduzierung der für die Ausübung des aktiven Wahlrechts in Südtirol erforderlichen Ansässigkeitsdauer (eingeführt, um ad hoc-Zuwanderung vor Wahlen zu unterbinden, Senkung von vier auf zwei Jahre) und die Möglichkeit, mit absoluter Mehrheit im Südtiroler Landtag die Zusammensetzung der Landesregierung im Verhältnis zur landesweit erhobenen zahlenmäßigen Stärke der Sprachgruppen (ethnischer Proporz) zu beschließen (bisher spiegelt die Landesregierung den ethnischen Proporz im Landtag wider, in welchem sich die italienische Sprachgruppe in den letzten Legislaturperioden aufgrund des Wählerwillens nicht ausreichend vertreten sah). Ebenfalls soll in der deutschen Fassung des Sonderstatuts in Zukunft die Bezeichnung der Region „Trentino-Südtirol/Alto Adige“ lauten – die italienische Bezeichnung lautet in der Verfassung seit 2001 „Trentino-Alto Adige/Südtirol“.
Grundsätzlich wurde der Vorschlag auch von der politischen Opposition im Sinne einer Konsolidierung der Autonomie – wenn auch nicht als großer Entwurf – begrüßt. Allerdings stießen die Änderungen in Bezug auf die Schutzbestimmungen für die deutsche Minderheit auf deutlichen Protest eines Teils der Opposition im Südtiroler Landtag, was dazu führte, dass die positive Stellungnahme des Südtiroler Landtags mit 6 Gegenstimmen beschlossen wurde, während der Trentiner Landtag seine ebenfalls positive Stellungnahme mit einer Enthaltung verabschiedete; diese Stimmverhältnisse fanden sich auch in der Beschlussfassung des Regionalrats wieder. Jedes Gesetzgebungsorgan verabschiedete seine Stellungnahme mit auch unterschiedlichen Anmerkungen – der Südtiroler Landtag etwa hinsichtlich der völkerrechtlichen Dimension der Südtirol-Autonomie –, wobei in allen Anmerkungen betont wurde, dass es weitere Bemühungen für die Konsolidierung und den Ausbau der Sonderautonomie geben müsse, die Reform somit nur ein Schritt in die richtige Richtung sei.
Bevor die Regierung den Entwurf im Parlament einbringt und damit das erschwerte Verfahren zur Verfassungsgesetzgebung startet (zweifache Abstimmung im Abstand von mindestens drei Monaten in beiden Kammern), musste die Ständigen Konferenz für die Beziehungen zwischen dem Staat, den Regionen und den autonomen Provinzen Bozen und Trient sowie die im Südtirol-Paket von 1969 vorgesehene 137er-Kommission, die zu wesentlichen Änderungen des Statuts anzuhören ist, mit dem Entwurf befasst werden. Beide Gremien haben eine positive Stellungnahme abgegeben, die 137er-Kommission am 12. Juni 2025 kurz vor der am selben Tag erfolgten endgültigen Beschlussfassung im Ministerrat. Der Text soll nach der ersten Abstimmung in den Kammern in Fortführung der einvernehmlichen bilateralen Vorgangsweise, die sich völkerrechtlich zwischen Italien und Österreich bei der Umsetzung und Weiterentwicklung der Südtirol-Autonomie herausgebildet hat, an Österreich zur Wahrnehmung der Schutzfunktion für Südtirol übermittelt werden. Auf das Erreichen der in der zweiten Abstimmung in beiden Kammern erforderlichen absoluten Mehrheit im Verfassungsgesetzgebungsprozess und eine Verabschiedung innerhalb vom Herbst 2026 wird angesichts der stabilen Mehrheitsverhältnisse von Mitte-Rechts und den Zusagen von Ministerpräsidentin Meloni politisch vertraut.
Informationen zu Univ.-Prof. MMag. Dr. Esther Happacher

esther.happacher@uibk.ac.at
Zur Übersicht